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Rhode-Dachser: Psychoanalytische Krankheitslehre

von Martin Steigerwald

(nur nichtkommerzielle Weitergabe erlaubt)

27. Oktober 1994

Fallbeschreibung, anhand derer, das Unbewußte und die unbewußten Konflikte klarer werden können:

Eine 35-jährige Frau, Mutter von 5 Kindern, kam zu dem Psychiater und Psychoanalytiker John L?? nach Harvard in die psychiatrische Klinik, weil sie Bilder, leibhafte, eidetische Bilder, die sie vor sich sah, und obszöne Gedanken, wie sie nackt mit ihrem Vater zusammen ist, hat und auch nicht los wird. Diese eidetischen Bilder ließen sich nicht verdrängen und verfolgten die Frau, was sie depressiv machte. Besonders beunruhigend fand sie, daß sie eigentlich ein gespanntes, vergiftetes Verhältnis zu ihrem Vater hatte, daß er ihr gegenüber immer gemein gewesen sei. Sie schilderte ihren Vater negativ, ja fast zu negativ.

Kurz bevor diese Bilder auftraten, änderte der Vater sein Verhalten ganz plötzlich, und bot seiner Tochter in einer Notlage finanzielle Unterstützung an. Die Patientin stellte den Patienten einerseits als gemein dar, andererseits erzählte ihre Mutter, daß der Vater, als sie noch klein war, gut zu ihr gewesen sei, ihr Lieder vorgesungen habe.

Auf die Frage hin, ob die Patientin sich auch manchmal wünsche, daß ihr Vater lieb zu ihr sei, antwortete diese mit Ja, gerade in als sie klein war, wollte sie immer wissen, ob ihr Vater sie lieb habe. Dabei brach sie in Schluchzen aus. Ein Teil von ihr wollte dem Vater nahe sein.

Im Verlauf der Therapie fiel ihr auch ein, daß sie schon einmal in der Kindheit ähnliche Bilder vor ihrem inneren Auge sah. Das läßt auf einen Konflikt deuten, der nicht nur ein paar Monate alt ist, sondern aus der frühen Kindheit herrührt.

Weiterhin stellt sich heraus, daß ihr Kinderbett bis zu ihrem fünften Lebensjahr im Elternzimmer gestanden hatte. Einmal, als sie im Bettchen war, so erinnerte sie sich, stand der Vater nackt vor ihr und schimpfte sie zornig aus.

Später im Verlauf der Therapie fiel ihr ein Alptraum, den sie in der Nacht, bevor sie dann öfter die obszönen Bilder sah, hatte, ein: Darin ging sie in einen Zoo, und hörte, wie die Tiere merkwürdige Geräusche machten. Sie sah einen Tierwärter und fragte ihn, was denn das für Geräusche seien. Der erklärte ihr, die Tieren begatteten sich gerade und daher kämen die Geräusche. Später sah sie dann noch einen großen Elefanten, der sich dann herumwälzte.

Dieser Traum führte die Patienten auf die Spur eines längst vergessen, verdrängten Erlebnisses. Eines nachts, als sie noch klein war, wachte sie unerwartet auf, und sah ihre Eltern beim Geschlechtsverkehr. Die Eltern bemerkten dies und die Mutter sagte zornig, sie solle wieder einschlafen. Bevor sie sich schlafend stellte - wirklich schlafen wollte sie dann wohl nicht-, sah sie noch, wie sich ihr Vater herumdrehte, eine Errektion bekam und ejakulierte.

In diesem Zusammenhang muß sie der Vater später noch einmal ausgeschimpft haben.

Analyse: Die eidetischen Bilder der Patientin sind Ausdruck eines unbewußten, frühkindlichen Konflikts, der mit der plötzlichen Freundlichkeit des Vaters aktualisiert wurde. Viele Konflikte, die später zu Neurosen führen können, fangen in der frühkindlichen Entwicklungsphase an. Zu einer Zeit, wo man als Kind Konflikte noch nicht verbalisieren konnte oder mehr oder weniger subtile Verbote der Eltern dies verhindern. Auffällig ist daher bei vielen Neurosen auch die "kindliche" Struktur des Konfliktes.

Die Patientin war bis zu diesem Erlebnis immer von der Sexualität der Eltern ausgeschlossen gewesen, und auch jetzt bekam sie eindeutige Signale, sie solle schlafen gehen, oder übersetzt: das geht Dich nichts an, was wir hier machen, Du gehörst da nicht rein, Du darfst das nicht sehen. Dennoch hat die Patientin Interesse an dem, was da passierte, und hätte gewiß auch fragen gestellt, wenn sie dies gedurft hätte. Vielleicht stellte sie sich auch vor, wie es wäre, wenn sie an der Stelle der Mutter sei, und erlebte die damit verbundenen Schuldgefühle. Vielleicht verspürte sie den inzestiösen Wunsch an der Sexualität der Eltern teilzuhaben. Auf jeden Fall war dieses Erlebnis für sie für die Entwicklung einer eigenen geschlechtlichen Identität von herausragender Bedeutung.

Das Erlebnis der Patientin durfte auch danach nicht ausgesprochen oder besprochen werden, sie durfte ja fast noch nicht einmal daran denken. Der Konflikt zwischen dem Wunsch, mehr über die Sexualität ihrer Eltern und die Sexualität allgemein zu erfahren und vielleicht daran teilzuhaben, und dem Verbot der Eltern konnte sie unmöglich bewältigen, verarbeiten und so verdrängte sie ihn fast völlig aus ihrem Leben. Sie vergaß ihn, bis er durch einen Auslöser wieder geweckt werden sollte.

Diese Urszene erlebt wohl fast jeder, oder jeder von uns. Sie ist für die Vorstellung der eigenen Geschlechterrolle von eminenter Wichtigkeit. Hier sieht das Kind, was es heißt, Junge oder Mädchen zu sein. Diese Urszene löst beim Kind eine Menge fragen aus: Was macht ihr da zusammen? Was machst Du, Mutter? Was machst Du, Vater? Wo kommen die Kinder her, wie werden sie gemacht?

Wenn man als Kind nicht die Gelegenheit hat, darüber Fragen zu stellen und diese auch wirklich beantwortet zu kriegen, was früher seltenst und heute wohl auch noch nicht sehr oft, aber öfter, der Fall war, dann ist man darauf angewiesen, die Urszene selbst zu deuten.

Deshalb findet man oft zwei verschiedene Vorstellungen von der Urszene, von der Sexualität zwischen Mann und Frau (siehe nebenstehende Tabelle).

Der Wunsch dabei zu sein und das Verbot, das ausschließt, treten in den Widerstreit. Die Begierde der Erwachsenen kann dem Kind, das sich vielleicht nach Zärtlichkeit sehnt, Angst machen. Das Kind erlebte oft den zärtlichen Vater, als Vater, der seiner sexuellen Begierde nachgibt, hat es ihn vorher noch nicht gesehen.

Als ihr Vater nicht mehr so ablehnend zu ihr war wurde auch ihre Abwehr gegen dieses verdrängte Erlebnis schwächer, die Grenze zwischen Bewußten und Unbewußten brüchig, so daß erste Erinnerungen an dieses Erlebnis in verkleideter Form den Weg in ihrem Alptraum fanden. Nur wenn eine solche auslösende Konfliktsituation, die mit dem verdrängten Konflikt in Zusammenhang steht, auftritt, kann dieser verdrängte Konflikt aus seiner Verborgenheit auftauchen.

Der Auslöser, hier des Vaters plötzliche Freundlichkeit zu seiner Tochter, stimuliert den abgewehrten Konflikt, die Abwehr wird brüchig, Vorstellungen des kindlichen Konfliktes tauchen wieder auf.

Die Abwehrhaltung ist aber noch nicht aufgegeben und die Vorstellungen können noch nicht offen ins Bewußtsein treten. Im Traum der Patientin treten sie daher verdeckt auf, sind der Patientin fremd.

So realisiert der Traum einen Kompromiß zwischen der noch vorhandenen Abwehr des verdrängten, aber nun wieder aktualisierten Konflikts und den mit ihm verbunden libidonösen, inzestiösen, verbotenen Wünschen.

Teile der Vorstellungen von dem kindlichen Erlebnis werden sichtbar, nur die Bilder tauchen wieder auf, die damit verbundenen sexuellen Empfindungen bleiben noch verborgen.

Dieser Kompromiß, zwischen Abwehr und (Trieb-)Wünschen stellt ein neues psychischen Gleichgewicht her und stellt eigentlich eine optimale Lösung dar, der Preis dafür allerdings ist: die auftretenden Symptome, die Einschränkung des Ichs. So bildet die Neurose einen neuen stabilen Zustand, aber mit Einschränkungen und Symptomen wie die eidetischen, ängstigenden Bilder, die die Patientin vor sich sieht.

Durch die Bearbeitung des hinter dem Symptom liegenden, noch immer nicht ganz zugelassenen Konflikts verschwindet dieses nach und nach.. Die Abwehr gegen den Vater ließ nach, die Beziehung zwischen Vater und Tochter verlor ihre Giftigkeit, denn die Angst vor Vergiftung durch die Sexualität des Vaters schwand, ihre Beziehung zueinander wurde besser.

Einführung in die psychoanalytische Neurosenlehre Freuds

Der psychische Apparat, auch das Strukturmodell der Psychoanalyse genannt, Freuds letztes Modell von den unbewußten Vorgängen, besteht aus drei Instanzen: das Über-Ich, das Ich und das Es. Dies sind aber keine substantiellen Begriffe, sie sind eher als Metaphern zu verstehen. Es bringt also nicht unbedingt was, sich in drei Bereiche aufgeteilt zu sehen, und sich dann zu fragen, was macht mein Es, mein Über-Ich und so weiter. Vielmehr gehören alle drei Instanzen zusammen.

Das Über-Ich repräsentiert die Verbote der Eltern, die Idealisierung der Eltern, das Verbot der Wünsche. Das Es, das Unbewußte, ist Quelle der Triebe und der Wünsche, es hat das Triebmonopol. Es existiert von Geburt an und nimmt im Laufe der frühen Kindheit [und wahrscheinlich auch später noch] verdrängte Wünsche auf. Es arbeitet nach dem Lustprinzip und drängt auf Sofortbefriedigung aller Wünsche, auch [und vielleicht gerade] der verbotenen.

Zwischen diesen beiden Instanzen vermittelt das Ich. Es arbeitet nach dem Realitätsprinzip und schafft zum Zwecke der langfristigen Selbsterhaltung immer wieder einen Ausgleich zwischen den Wünschen des Es, den Verboten des Über-Ichs und den Anforderungen der Realität, die sozusagen noch eine vierte Instanz bildet.

Dabei denkt das Es und das Über-Ich auf unterschiedliche Weise. Das Es z.B. im Traum denkt nach dem Primärprozeß, das Über-Ich so wie die Erwachsenen, die Eltern nach dem Sekundärprozeß.

Bis zum dritten Lebensjahr und auch darüber hinaus denkt das Kind so ähnlich wie das Es im Primärprozeß. Daher lassen sich kindliche Konflikte durch den Sekundärprozeß nicht erklären und klären. Die Eltern können das Kind nur mit Hilfe primärprozeßhaftem Denkens verstehen.

Beide Prozesse werden durch die nebenstehende Tabelle näher charakterisiert. Der Sekundärprozeß analysiert und vergleicht, der Primärprozeß fügt zusammen. (Siehe dazu auch M. Steigerwald, Mitschrift der Vorlesung Psychoanalyse und Erziehung 4 von Frau Overbeck.)

Die obige Darstellung des psychischen Apparats ordnet das Über-Ich oben, das Ich in der Mitte und das Es unten an. Diese eigentlich willkürliche Anordnung, es könnte ja auch das Es oben sein, macht vielleicht Sinn, wenn man sich vorstellt, vorher Impulse der einzelnen Instanzen kommen. Die Triebwünsche verspürt man wohl eher im Bauch, die Verbote der Eltern schweb(t)en oft (drohend) über einem.

Die Linie zwischen Es und Ich ist in der Darstellung mit Absicht etwas dicker gehalten als die anderen. Sie soll die Grenze zwischen Es, dem Unbewußten, und dem Ich, dem eigenen Bewußtsein verdeutlichen. Wünsche die das Ich nicht mit den Forderungen und Verboten des Über-Ich oder den Anforderungen der Realität mittels eines Kompromisses vereinbaren kann, sogenannte inkompatible Wünsche, werden verdrängt, aus dem Bewußtsein ausgesperrt, ins Es geschoben und ausgegrenzt. Bei Neugeborenen existiert diese Grenze noch nicht, sie entwickelt sich nach und nach.

Deshalb ist auch bei erwachsenen Neurotikern die Grenze zwischen Es und Ich schon ausgeprägt. Bei Neurosen existiert diese Grenze schon im Rahmen eines einigermaßen funktionierenden psychischen Apparats, der psychische Apparat hat sich schon entwickelt. Hysterien sind z.B. solche neurotischen Erscheinungen. [Wie ist das mit Kinderneurosen?? Sind solche Kinder zu früh erwachsen geworden?]

Störungen, die infolge einer Nichtentwicklung oder einer fehlerhaften Entwicklung des psychischen Apparats auftreten, nennt man dagegen Ich-Störungen. Dazu gehören z.B.: Perversionen und Psychosomatosen.

Diese Grenze ist, auch wenn sie stabil ausgebildet werden konnte, nicht undurchlässig. Unter bestimmten Bedingungen werden bestimmte Vorstellungen des Unbewußten ins Bewußtsein vorgelassen. Wenn die Abwehr gegen ein verdrängtes Erlebnis schwächer und brüchiger wird, so wird auch die Grenze zwischen Es und Ich durchlässiger. Ein neurotischer Konflikt kann so wiederbelebt werden.

Das Ich hat die Funktion der Abwehr inkompatibler Wünsche und des Ausgleichs mit dem Über-Ich und der Realität. Es blendet aus, was nicht integriert werden kann, und ermöglicht so das Fokussieren der Aufmerksamkeit. Der Mensch wehrt grundsätzlich Dinge ab, die nicht mit seiner Identität vereinbar sind.

So erklärt man sich auch die Kindheitsamnesie, die Tatsache, daß man soviel aus der Kindheit vergessen hat. Die kindlichen Konflikte wurden vergessen, verdrängt, ausgeblendet, weil sie noch nicht verarbeitet, gelöst, bewältigt werden konnten. Das Ich übt somit eine gesunde Funktion aus, die das Weiterleben und Überleben sichert.

Das Ich kann man nicht erleben, der Begriff des Ichs ist eine Funktionsdefinition, ebenso wie die Begriffe der anderen Instanzen, Es und Über-Ich. Mein eigenes Selbst kann ich fühlen, der Begriff vom eigenen Selbst ist inhaltlich gefüllt.

[Das Ich übt eine gesunde Funktion aus, Konflikte werden ausgeblendet... Aber das fordert doch Energie und nicht alle Konflikte lassen sich ausblenden. Ist es deshalb notwendig, ab und zu mal auch alte Gefühle und Konflikte zu integrieren? Ist es das, was der Neurotiker bei der Bewältigung seiner Symptome durch Herangehen an ihre Ursachen macht? Wenn es zuviele nicht lösbare Konflikte gibt, kann Abwehr doch nicht die einzige Möglichkeit sein, damit umzugehen, oder?]

3. November 1994

Der Neurotische Konflikt - Einführung in die Grundbegriffe der Neurosenlehre

Verdrängung. Warum? Wann?

Doppelbeziehung bei Verheirateten kein neurotische Konflikt / mit Treueversprechen allen anderen möglichen Beziehungen versagen? Doppelbeziehung nicht lange aufrecht zu erhalten?

neurotischer Konflikt - bestimmte Triebwünsche, die in der Kindheit verdrängt werden mußten, im Unbewußten verbleiben und dann durch einen Auslöser wiederbelebt werden.

Freud hat sich nur mit Triebkonflikten beschäftigt.

Triebkonflikt - sexuelle Wünsche und, oder aggressive Reaktionen, Kind in Abhängigkeit von Eltern, verbotene Reaktionen, Verbot der Aggression gegenüber Mädchen massiver, Jungen: man darf Rache nehmen, Diskussionen darüber, Mädchen: Verstärkung von Gefühlen wie Trost, Mitleid, Abhängigkeit, darf nicht sagen, daß sie ihre Mutter auch mal schlecht findet. Ich darf meine Mutter nicht verletzen, damit sie mich nicht verläßt. Überlebenstrategie, Abwehr.

Das konnte die Abwehr leisten, positiver Leistung der Abwehr im Dienste des Überlebens, des Ichs

sexuelle Wünsche -Ödipuskomplex, Kind entdeckt Geschlechtsunterschied und fragt sich: Was heißt das? Kindlich sexuelle Wünsche: Sohn - Mutter, Tochter - Vater, erste Verliebtheitsbeziehung. So sein wollen wie der andere, gerade bei Mädchen. Bei Männern: Ist mein Penis groß genug, um einer Frau zu gefallen? (Vergleich mit dem Vater, kann ich die Mutter ebenso befriedigen wie mein Vater, sein Penis ist aber viel größer - naturgemäß, Altersunterschied)

Dreiecksbeziehungen - den Platz des gleichgeschlechtlichen Elternteils annehmen, Todeswünsche dem gleichgeschechtlichen Elternteil gegenüber, er soll die Beziehung zum gegengeschlechtlichen Elternteil nicht stören, aber er soll auch nicht wirklich weg, tot sein.

Bei Männern: Übertragung auf Leistung, Erfolge gegenüber dem Vater, kurz vor dem Erfolg, oder kurz danach depressiv, Erfolg - massive aggressive Wünsche, Männer kurz nach Heirat impotent - in der Kindheit verbotener Wunsch nach sexueller Verbindung inzestiöser Prägung

Reifungsmöglichkeiten, die das Kind braucht massiv abgeschnitten, mit inzestiöser Beziehung zur Mutter auch aggressive Impulse verdrängt, weil von ihr abhängig, ängstigende Erfahrung

Kopplung sexueller und aggressiver Wünsche.

Der Triebkonflikt spielt auch bei den anderen Konfliktarten eine Rolle, beim Autonomie-Abhängigkeitskonflikt, beim narzißtischen Konflikt.

Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt - Vater und Mutter, autonom sein wollen und die Vorzüge von Abhängigkeit genießen wollen, beides, optimal: nach Bedürfnis Autonomie und Abhängigkeit genießen dürfen. Erwachsenwerden - ich werde dann ganz Vieles nicht mehr haben. Wenn ich von den Eltern weggehe, werden sie mich fallen lassen: entweder du bleibst in meinen Arm, oder ich laß dich fallen, du mußt alleine zu recht kommen. Fesslung in einer Diade, Symbiose, massive Wut

Aggression gegenüber einem Konflikt, erster Schritt zur Trennung. Angst: Meine Aggression wird meine Mutter vernichten, magische Fantasien (sie kann das auch, sie ist stark meine Aggression), Schuldgefühle. Aufgabe: Form von Trennung finden, so daß beide überleben können.

narzißtischer Konflikt - Bedrohung des Selbst, der Kontinuität des Selbst-daseins. Selbstgefährdung - massive Konflikte, das eigene Selbst wird als existienziell gefährdet erlebt. Z.B. bei intensiver, extremer Verliebtheit, das Gefühl vom anderen aufgesogen zu werden

Selbstwertkonflikt - Kränkungen, Verletzung des eigenen Selbst, Empfindlichkeit, Verwundbarkeiten, die schon in früh gebahnt wurden. Bsp: Frau in Arbeitstelle, die männerdominiert ist, Mann als Hausmann

Wegfall einer als selbstverständlich empfundenen Gratifikation, eines Lobs. Bsp: der obligatorische Beifall nach dem Vortrag, der so obligatorisch gar nicht ist, meine Geliebte hat einen anderen, gerade bei Männern

früh angelegter neurotischer Konflikt: jemand kann gar nicht mehr erklären, erkennen, daß er gekränkt ist.

Wie funktionier die Abwehr dieser Konflikte, wenn sie als zu belastend empfunden werden, oder nicht zugelassen werden dürfen? Verschiedene Abwehrmechanismen.

Projektion - Ausländerfeindlichkeit, Behauptungen, Bsp: "Juden sind sexuelle Wüstlinge"

1. der sexuelle Wüstling ist aus einem selbst draußen

2. er darf nicht mit Frauen mit denen ich zu tun habe, zu tun haben

3. er muß vernichtet werden

projektive Identifizierung, Idealisierung der eigenen Gruppe, von mir selbst.

Reaktionsbildung: gegenteilige Affekte verstärken. Bsp: Aggression verboten, später Helfersyndrom, Krankenpfleger, Psychotherapeut werde. Wenn ich geärgert werde, Reaktion, dem anderen mehr zu helfen. Verstärkung von gegenteiliger Vorstellung

Isolierung: Vorstellung und Affekt werden getrennt. Und der Affekt kommt somit nicht mehr zum Vorschein.

Ein Beispiel

Auslösende Konfliktsituation: Mutter, die als Kind nicht aggressiv sein durfte, erlebt nun, wie ihr eigenes Kind aggressiv sein darf, was auch ganz ihren Kenntnissen von Erziehung entspricht

Mögliche Symptome: Zwangsvorstellung, ich könnte das Kind verletzen (nur die Vorstellung dringt ins Bewußtsein. Oder: plötzliches Weinen, ohne zu wissen warum, Affekt ohne Vorstellung. Kommt seltener vor, denn der Affekt ist bedrohlicher als die Vorstellung. Angst vor bestimmten Objekt, Übertragung, Phobie

Motorischer Impuls: rot werden, ohne entsprechende Vorstellung, aggressive Reaktion, sexueller Wunsch, Scham, jemand anderes kann mir ansehen, was ich denke

Therapie: Psychoanalyse - den Komplex als Ganzes ins Bewußtsein heben.

10. November 1994

auslösende Konfliktsituation, kann auch ein Wegfall einer für die Verdrängung gegebenen Belohnung sein: Versuchungs- oder Versagungssituation

Symptome: Zwangsvorstellung - begleitender Affekt abgespalten

Erythrophobie (Rötungsangst) - physiologische Reaktion

hysterische Konversionssymptome - Konflikt äußert sich in körpersprachlichen Symptomen

Kompromiß zwischen Impuls und Abwehr schafft in der Neurose ein neues Gleichgewicht. Dabei entsteht:

Ein primärer Krankheitsgewinn: Wie ist die Neurose entstanden? Was begünstigte ihre Entstehung? Zum Beispiel Angstminderung bei gleichzeitiger Teilbefriedigung des verdrängten Impulses, Wunsches.

Ein sekundärer Krankheitsgewinn: Was erhält die Neurose aufrecht? Ein durch die Reaktion der Umwelt auf die neurotischen Symptome die Neurose erhaltender permanenter Gewinn. Zum Beispiel bei eingebildeten Herzversagen: Hilfeleistung, jetzt kümmert sich jemand um mich, sonst nicht.

Das Symptom ist dennoch immer mit großem Leidensdruck verbunden. Man muß sich fragen: Was wird mit diesem Symptom bezweckt und kann von demjenigen auf andere, "gesunde" Weise nicht erreicht werden?

Die Hysterie - die hysterische Neurose

Es gibt verschiedene phänomenologische, beschreibende Einteilung psychischer Erkrankungen. Sie sind nur beschreibend, um Streit zwischen den verschiedenen psychoanalytischen Schulen zu vermeiden. Es gibt zum einen das Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen, DSM-3R (revidierte Fassung von DSM-3) und mittlerweile sogar DSM-IV, und zum anderen die "International Classification of Diseases", das ICD, in der 10. Auflage.

Man unterscheidet hauptsächlich zwei Arten der Hysterie: die Konversionsneurose und die dissoziative Neurose. Beidesmal wird der Begriff Hysterie nicht verwendet, weil er oft als Schimpfwort gebraucht wird.

Konversionsneurose (Konversionsstörung): Verlust, Verstärkung oder Veränderung einer körperlichen Funktion, ohne dazugehörenden organischen Befund, steht im Vordergrund (Konversion = Wendung ins Körperliche). Diese Art der Neurose hat eine starke symbolische Ausdruckskraft.

Symptome: Verlust der Stimme / Aphonie

Globusgefühl, Probleme beim Schlucken

hysterische Taubheit oder Ohrrauschen

hysterische Sehstörung / verschwommenes Sehen

hysterische Blindheit

Lähmungen / Muskelschwäche, Zuckungen

dauernder Harndrang

psychogenes Erbrechen

Dabei sind die möglichen Symptome nicht der willentlichen Reaktion des Patienten unterworfen. Die Hysterie ist echt, der Patient simuliert nicht und spürt enormen Leidensdruck.

Ein körperliches Verweigerungssyndrom. Nein, nicht drüber reden können, es ausdrücken können. Ein bestimmter Impuls möchte sich Durchbruch verschaffen und wird auf körperlichem Wege daran gehindert. Etwas nicht sehen, hören, sprechen, tun wollen und seinem Verweigerungswunsch anders nicht genügend Ausdruck verschaffen können, dürfen.

Oft: Sexuelle Tönung, verdeckter sexueller Wunsch.

Den Konflikt unbewußt halten. Bei Bewegungsunfähigkeit zum Beispiel sind die Reflexe noch da! Konversionsneurosen sind meist nicht mit neurologischen Medikamenten wirkungsvoll beeinflußbar, da sie selbst keine organischen neurologischen Störungen sind.

Konversionsstörungen sind seltener geworden; heute findet man eher leisere Symptome. Die eigentlichen Gefühle sind immer schwerer auszudrücken. Kulturell bedingtes Zurückdrängen des Ausdrucks, der Emotionen. Die Ausdruckskraft tritt in den Hintergrund, heute findet man eher den Wunsch nach (ärztlicher) Zuwendung.

Konversionsstörungen werden, wenn sie als solche nicht erkannt oder akzeptiert werden, oft mit körperlich behandelt, was nicht funktioniert, aber oft bis zu echten, organischen Schädigungen des Betroffenen getrieben wird, die dann als neue Symptome der Erkrankung kaschiert werden.

Dissoziative Neurose (Dissoziative Störung - hysterische Neurose dissoziativen Typs): Bei der recht seltenen Form der multiplen Persönlichkeit wechseln sich oft recht gegensätzliche Persönlichkeiten in einer Person einander ab.

Eine Depersonalisation bedeutet ein Neben-sich-Stehen bei Bewältigung schwieriger, intensiver Konflikte. Sie kommt häufig in Übergangsphasen wie zum Beispiel der Adoleszenz vor.

Symptomneurose oder Charakterneurose?

Wichtig ist auch die Entscheidung, ob es sich um eine Symptomneurose oder eine Charakterneurose handelt.

Dazu gibt es im DSM-3R ein Diagnoseschema [, daß möglicherweise von Männern mit Vorurteilen in Gedanken an ihnen unangenehme Frauen geschrieben wurde.]:

1) übermäßiges Verlangen nach Aufmerksamkeit und Lob

2) übertrieben attraktiv und verführerisch im Gehabe

3) übertrieben um sein Äußeres besorgt

4) übertriebene Emotionen

5) Unwohlsein, wenn nicht im Mittelpunkt

6) Emotionen nachgestellt, unecht

7) stark egoistisch

8) übertriebener impressionistischer Sprachstil

Wenn 4 von diesen 8 Symptomen vorliegen, so handelt es sich um eine Charakterneurose. [Amen.] Man muß sich hier aber auch fragen, ab wann hier etwas übertrieben ist, jeder hat da andere Maßstäbe. [Wenn ich überlege, wieviel von dem da oben eventuell auf mich selbst zutrifft...]

17. November 1994

Der hysterische Denkstil

Der Begriff der Verdrängung erklärt nicht alles, was mit der Hysterie zu tun hat. Deshalb suchte man nach grundlegenderen Begriffen (Chakiro, 1991).

Laut Chakiro und anderen wird der hysterische Denkstil von folgenden Begriffen geprägt: Eindruck/Impression, eine Welt ohne Tatsachen, ein Weltbild ohne Tatsachen.

Wenn ein Hysteriker erzählt, dann erwähnt er Eindrücke, Impression, für ihn interessante Tatsachen. Er erzählt mit großer Lebendigkeit, aber ohne Details und Genauigkeit. Anders als der Zwangsneurotiker der sich an alles ganz genau erinneren kann, nichts vergessen kann und alles mit größter Präzision in allen Details darstellt, vergißt der Hysteriker recht leicht etwas.

Er steht Dinge global, diffus mit mangelnder Präzision dar. Es gibt da z.B. einen Test mit einen Bild voller Tintenkleckse, indem einige entfernt nach einer Fledermaus aussehen. Bekommt der Zwangsneurotiker ein solches Bild gezeigt, so wird er alles genau beschreiben, wo die Kleckse sind, als was man sie sehen kann, wie sie zueinander stehen, und erst nach einen kurzen Zögern dann zugeben, daß es sich bei einigen Klecksen um eine Fledermaus handeln könnte. Aber es könnte ja auch etwas ganz anderes sein.

Der Hysteriker hingegen sagt zum Beispiel gleich: "OH, eine große Fledermaus, nehmen sie das Bild weg. Das-sich-nicht-an-die-Details-erinnern-und-alles-global-sehen ermöglicht die Verdrängung eines (frühkindlichen) Konflikts, verursacht sie aber nicht. Zudem kann sich ein Hysteriker oft nicht lange auf etwas konzentrieren und läßt sich sehr leicht ablenken.

Beim Lösen einer mathematischen Aufgabe geht ein Hysteriker oft nicht systematisch an die Aufgabe heran, sondern stellt sich davor und wartet auf einen Inspiration, einen Geistesblitz. Er erwartet von der Aufgabe, daß sie sich für ihn löst. Aber solche Geistesblitze kommen wohl eher selten.

Die Wahrnehmung eines Hysterikers erfaßt oft nur die Fassaden und nicht das, was dahinter steckt. Für ihn ist die Welt eine Welt voller Eindrücke, voller gefühlshaften Erinnerungen, für ihn ist die Welt eine Welt ohne Tatsachen. Die gefühlshaften Eindrücke können sich wandeln, nichts steht wirklich fest.

Unintegrierte Eindrücke ohne inneren Zusammenhalt paaren sich mit einer Welt der Phantasier, einer romantisch getönten Welt, in der es Helden und Bösewichte gibt. Bezugspersonen werden häufig idealisiert. Das Detail wird außen vor gelassen, um die Idylle nicht zu stören.

Der Hysteriker verhält sich theatralisch, hyperemotionell, zeigt Gefühle, die unecht erscheinen - dabei merkt er all dies nicht. Er merkt nicht, daß er handelt, er merkt nicht, daß er fühlt und erkennt oft die Konsequenzen seines Handelns nicht oder nur unscharf.

Diese Verleugnung der Wirklichkeit kann sich auch auf das eigene Selbst erstrecken. Der Hysteriker kann gleichgültig gegenüber den eigenen Symptomen sein, sich selbst verletzen und denken, es sei egal, was mit ihm passiere. Er kann auch Selbstverletzungen vergessen, verdrängen. Diese Gleichgültigkeit kann den Therapeuten sehr hilflos machen.

Hysteriker können ihre eigenen Gefühle oft nicht oder nur in übertriebener Form wahrnehmen. Sie spielen eine Rolle: Ich weiß nicht, was ich fühle, wer ich bin und ob meine Gefühle wirklich von mir kommen. Sie spüren oft keinen Boden unter den Füßen. Ihr Weltbild ohne Tatsachen vermag ihnen keinen Halt zu geben.

Hysteriker sexualisieren sich selbst häufig stark, sie treten verführerisch auf und auf evtl. damit gegebene Versprechen dann auch einzugehen. Sie verlocken und signalisieren dann aber: Du kannst mich nicht haben. Die Hysterie wird am häufigsten bei Frauen diagnostiziert.

Manchmal geht die Realitätsverleugnung sogar so weit, daß eine Frau eine Vergewaltigung riskiert [was den Vergewaltiger aber keineswegs entschuldigt].

Warum wird Hysterie vor allem bei Frauen festgestellt? Dazu machte jemand mal einen Test, in dem den Versuchspersonen eine als harmlose Persönlichkeitsbeschreibung verkleidete Diagnose für eine hysterische Person vorgelegt wurde und sie dann gefragt wurden, um welchen Typ von Persönlichkeit es sich dabei handele.

Männer und Frauen antworten sehr ähnlich: eine alleinstehende Frau. Wenn die Persönlichkeitsbeschreibung noch Elemente wie Abhängigkeit und Depressivität enthielt, dann lautete die Antwort oft: eine verheiratete Frau. Dieser Test fand in einen Seminar über psychologische Diagnosen statt und läßt darauf schließen, daß die Diagnose Hysterie von vorurteilsbehafteten Männern entwickelt wurde.

Schon früh wurde eine im Körper der Frau wandernde, unbefriedigte Gebärmutter für die Hysterie verantwortlich gemacht. Männer und auch manche Frauen unter Druck auch selbst wert(et)en Frauen ab. All das wurde zum Bestandteil der Diagnose Hysterie: Abwertung der Frau, kaum ein Mann wird als Hysteriker diagnostiziert, stereotype Vorstellungen über die Frau und Vorurteile.

Männliche Hysteriker werden dagegen viel häufiger mit Diagnosen wie postdramatische Neurose, die nahelegt, das Symptom folge auf ein Trauma, oder narzißtische Persönlichkeitsstörung, die ein besseres Selbstwertgefühl suggeriert, belegt.

Man beschrieb Psychologie-Studenten auch mal eine Hysterikern und die sagten dann empört: "Aber das ist doch keine Hysterikerin, sondern eine Frau" (s. Lörner). Dies deutet auch wieder auf die Stereotypie der Diagnose Hysterie hin, die auf das Klischee einer ewig kichernden, kindlich abhängigen, hochgradig emotionalen, romantischen und technisch unbegabten Frau paßt.

Die Klischeevorstellung über Männer enthält dagegen eher folgende Elemente: immer leistungsfähig und potent, abstrakt denkend, aktiv gestaltend und zerstörend, logisch, praktisch, intellektuell, selbstbewußt und rational. [HILFE, so bin ich nicht!!! Bin ich nun kein Mann mehr oder was???]

Wie kommen nun aber diese Vorstellungen über die Frau zusammen? Vordergründig läßt sich sagen, es handele sich dabei um die Phantasien von Männer und Frauen über Frauen, wie:

- Frauen sind mehr in ihre sexuelle Identität eingebunden und erleben sie konflikthaft. Männer (und Frauen?) nehmen sie nur als Sexualobjekt wahr, wo sie sich eigentlich über die Sexualität hinausgehende Anerkennung wünscht.

- Frauen haben bei all ihrem Widerstand dagegen eine subtile Bereitschaft, sich diesem Klischee anzupassen

- Frauen haben ein schlechteres Selbstwertgefühl, sie haben es schwerer, eigene Erfolge sich selbst zuzuschreiben. Hysterische Frauen haben ein noch schlechteres Selbstwertgefühl, das sich zum Beispiel im ständigen Fragen "Liebst Du mich auch?" äußern kann, was schließlich zur einer Trennung führen kann

- Frauen fordern weniger als Männer und können auch nicht mehr fordern, da

- ihre Eltern direkte Wünsche von Ihnen oft mißachteten oder in Altruismus umleiteten

- warten auf Helden, statt ein Problem selbst zu lösen. Sie erwarten sich die Erlösung von Männern, weil sie sich und andere Frauen abwerten und andere Frauen als Rivalin erleben. Sie geraten daher häufiger in Rivalitätsbeziehung und auch die berufliche Rivalität ist möglicherweise mit der Rivalität um einen Mann, einen "Helden" verbunden

- Frauen passen sich den Erwartungen der von ihnen idealisierten Männer an. Sie versuchen ihre Helden durch Anpassung anzulocken und nehmen seine Erwartung meist unbewußt schon war. Der Unterschied zwischen allgemeiner und hysterisch verlockender Attraktivität ist meist fließend und daher schlecht festzustellen.

Von Marylin Monroe wurde immer erwartet, daß sie ihrer Rolle als Sexidol gerecht werde, was sie gar nicht auf Dauer kann. Ihre Wünsche nach Anerkennung anderer Art übersahen die meisten. Sie mußte ihre Persönlichkeit hinter ihre Fassade verbergen. Möglicherweise trieb sie das auch in den Selbstmord.

Da dieses Klischee von der Frau immer noch - mehr oder weniger - tief in uns verwurzelt ist, kann eine hysterische Frau dann oftmals auch nicht von einen männlichen Therapeuten behandelt werden, solange dieser nicht den wahren Sachverhalt kennt und auf die Frau als Mensch eingehen kann.

Kennt der Therapeut diesen Sachverhalt nicht, daß die Frau als Mensch Anerkennung sucht, sondern sieht er sie nur als schöne Frau, die seine Partnerin werden könnte, der er helfen könnte durch wahre Zärtlichkeit und Sexualität, nicht wie die anderen Männer, die sie enttäuschten, dann bekommt er vielleicht auch schnell die Angst, von ihr kastriert zu werden, von ihr seiner Männlichkeit beraubt zu werden, wenn er merkt, daß sie zwar auf den ersten Blick Versprechungen macht, dann aber nicht darauf zurückkommt. Dann gerät er in einen hysterischen Machtkampf und die Therapie schadet vielleicht gar mehr als sie nutzt.

Das geht dann nach folgendem Schema: Erlöse mich? Ja, das will ich! Und wehe, Du erlöst mich nicht, dann bist Du kein Mann! Ich bin aber angewiesen auf die Bestätigung meiner Männlichkeit durch eine Frau.

Sowohl Männer als auch Frauen wollen sowohl als Mensch, als Person, als auch in ihrer sexuellen Identität, in ihrer Sexualität vom Partner anerkannt werden. Gerät eine Therapie in einen solchen hysterischen Machtkampf, dann macht die Frage "Wer gewinnt?" die gesamte Therapie zunichte.

Geht der Therapeut jedoch auf das eigentliche Problem der Frau ein und sagt etwa, "Es muß schwierig für sie sein, echte Anerkennung als Mensch, zu erreichen, wenn andere Männer sie nur als Sexualobjekt sehen und andere Frauen sie abwerten. Ich will sie als Mensch sehen und anerkennen, aber auf die andere Ebene kann ich mich als Therapeut nicht einlassen.", dann hat die Therapie eine echte Chance erfolgreich zu enden.

Die Tatsache, daß Hysterien also oft ansozialisiert, anerzogen werden, macht es besonders schwierig damit umzugehen. Ist die Angst vorm Älterwerden und dem damit verbundenen Verlieren der eigenen Schönheit nun schon hysterisch oder ganz "normal" eigentlich? Auch die Frage, ob das, was von der Gesellschaft weithin noch als normal angesehen wird, und dazu gehört oftmals noch dieses Frauenklischee, auch gut für die Person im Einzelnen, auch gut für die Frau ist.

Möglicherweise wird eine Frau sich um ihrer Identität, ihrer Persönlichkeit willen genau gegen diese - verlogene - Normalität richten müssen, und möglicherweise braucht sie dann gerade dabei Unterstützung, die sie oft so vielleicht gar nicht bekommt, weil sie eben durch die verfälschende Brille dieses Klischees gesehen wird.

Wichtig dabei ist es zu lernen, sich nicht nur als Objekt zu sehen, daß "geliebt" werden kann, sondern zu entdecken, wie gut man auch selber lieben kann.

Der hysterische Konflikt ist auch häufig Nachfolger eines (verdrängten) ödipalen Konflikts. Die Tochter verspürt den ödipalen Triumph eine Rivalin, die "Mutter", ausgeschaltet zu haben, so daß sie nicht mehr zwischen ihr und ihrem "Vater", einem von ihr begehrten Mann steht. Dabei darf diese Rivalin aber nie ganz verschwinden, denn dann wäre ja die Mutter weg. So entsteht häufig eine mörderische Aggression zwischen ihr und der Rivalin, ganz so wie die verdrängte mörderische Aggression zwischen ihr und ihrer Mutter, wie die Aggression, die sie damals als kleines braves Mädchen nicht zulassen durfte.

24. November 1994

Theorien weiblicher Sozialisation

Freud: tiefe narzißtische Kränkung, "Penisneid", Abwendung von der Mutter, die sie mangelhaft ausgestattet hat. Idealisierung des Vaters. ideale Wünsche an die Mutter, die Fee, die alles können soll, aber nicht alles kann. Tiefe Enttäuschung in ihrer ersten zwischenmenschlichen Beziehung

Penisneid = Begriff für diese namenlose, weil sie, die Tochter, keinen Namen für sie hatte, als sie sie erlebte, Enttäuschung. Nach Abraham zwei Typen von Frauen: 1. Rachetypus - die Frau rächt sich am Mann für ihre mangelnde Ausstattung. 2. Wunscherfüllungstypus - sie erwartet eine Entschädigung vom Mann.

Freud: Nachteil nicht als Mann geboren zu sein (in den 1920er wohlgemerkt), schwerer Weg in die Weiblichkeit. Auch eine Frau, die studieren will, will sich rächen. Manche Psychoanalytiker haben diese Theorie immer noch nicht ganz aufgegeben, obwohl sie überholt ist. Schimpfwort - kastrierende Frau für leistungsorientierte Frau.

Für Frauen schwierig: sich als Subjekt erleben, ich will! nicht immer, was willst Du? eigene Wünsche haben und äußern. Die Wünsche nach einer idealen Beziehung - Tochter-Mutter, Tochter-Vater - aufgeben oder verlagern?

So sein wollen wie der Vater als begehrendes Subjekt, doch dieser weist meist das idenfikatorische Liebesangebot der Tochter zurück, die Tochter bleibt sein Objekt. töchterliche Existenz, das bedeutet auch, das begehrende Subjekt ist außerhalb im Vater, Mann. Idealisierung des Vaters/Manns, der Männlichkeit. ich will, aber nur das, was mein Vater will/wollen würde. keine eigenen Wünsche.

weiblicher Ödipuskomplex: Kleine Mädchen im Alter von 3-6 Jahren verlieben sich in aller Regel heterosexuell in ihren Vater: "Wenn ich groß bin, dann heirate ich Vater." Was passiert dann mit Deiner Mutter? "Die könnte dann doch den Großvater oder den Bruder heiraten.". Schuldgefühle - den Platz der Mutter beanspruchen, die diesen aber nicht freiwillig hergeben wird.

Beim Jungen: Verliebt sich in Mutter, bekommt dann Kastrationsangst vor dem Vater. Gibt seine Gefühle für Mutter auf beziehungsweise verschiebt sie auf die Zukunft auf eine andere Frau, eine Frau wie sie, oder eine ganz andere Frau.

Mädchen brauchen keine Kastrationsangst zu haben. Konfliktbesetzte Beziehung zur Mutter - erotisch getönte Beziehung zum Vater (auf unbeschränkte Zeit), aber auch: Inzesttabu. Entidealisierung des Vaters erfolgt, aber nur dann schnell, wenn der Vater oft anwesend ist. oft: an den Vater gebundene Frauen. Das Vater-Tochterverhältnis widersteht der Modernen.

Cha, S: Vater wird idealisiert, Mutter abgewertet. Idealisierung des Vaters als Durchgangsstadium und Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung der Tochter. Sie dient der Ablösung von der Mutter.

Die Frage, wie diese Idealisierung dann abgebaut wird, bleibt aber offen. Mutter abwerten - die Weiblichkeit abwerten, sich selbst abwerten. Bestätigung vom Mann brauchen. Aber wenn Mutter OK, ich selbst OK, keine Bestätigung vom Mann nötig. Dann Beziehung zu einem Mann als schöpferische Paarphantasie, etwas Drittes, zum Beispiel ein Kind, schaffen.

Anders aber: Ich brauche den Mann, um meine innere Leere zu füllen. Idealisierung verlagern: Beim nächsten Mann wird alles anders. Hysterische Idealisierung geht einher mit dem Zurückschrauben der eigenen Wertigkeit. Vater = Held, zukünftiger Mann = Held. Idealisierung, die über die "normale" gegenseitige Idealisierung in Liebesbeziehungen hinausgeht: Der Mann reitet heran, hebt die Frau aufs Pferd und nimmt sie mit sich ins Paradies... Wieso nicht auch umgekehrt?? [Ohja, da hätte ich gar nichts dagegen...]

Die Erfahrung machen, daß sexualisierende Selbstdarstellung lohnend ist - Sexualisierung oft einsetzen - Hypersexualität [Damit kann man dann aber auch jeder attraktiven Frau, die Wert auf ihr Äußeres legt und dies auch betont, eine Hysterie anhängen, ich denke da sollte man(n) vorsichtig sein.]

Isreal: Niedriges Selbstwertgefühl wegen "Penisneids" auch hier. Penisneid - die Hysterikerin fühlt sich unvollkommen und braucht Ergänzung, die weder der Vater noch ein späterer Mann bieten kann. Der Vater wird als unvollkommen erlebt - was er ja auch ist, wie jeder Mann und jeder Mensch -, er kann weder ihr noch ihrer Mutter ein vollkommender Ehemann sein.

Aus dieser Lüge gibt es nur einen Ausweg [hier versteh ich was nicht]: der Weg in die Idealisierung. Diesen ergänzenden Mann gibt es nicht und so muß sie jedem Mann seine Unvollkommenheit nachweisen, denn sonst müßte sie ihre Idee vom gottgleichen, vergötterten Mann aufgeben und sich mit einem "gewöhnlichen" Mann abfinden.

Die Tochter, die Frau muß lernen, mit der Unvollkommenheit des Mannes und damit auch mit ihrer eigenen Unvollkommenheit umzugehen, möchte sie aus diesem Kreislauf ausbrechen. Nur dann kann sie sich selbst lieben und akzeptieren und auch einen Mann lieben und akzeptieren wie sich selbst. Wenn sie die Unvollkommenheit des Mannes und ihre eigene akzeptiert, kann sie das, was einen "gewöhnlichen" Mann von ihrem Götterheld unterscheidet, nämlich seine Unvollkommenheit, möglicherweise genauso liebenswert finden, wie die Vollkommenheit des vergötterten Mann, der so nicht existiert, zuvor.

Den Partner lieben, obwohl oder gerade weil er unvollkommen ist. Und sich selbst genauso. In unserer Zeit leider ein phallischer Diskurs, weibliche Wünsche werden kaum beachtet, keiner oder kaum jemand fragt: Was will die Frau?

Daher oft: Festhalten an der idealisierten Figur und der Unkündbarkeit der Verheißung.

Der hysterische Modus

St. Mentzos: Hysterische Inszenierung als ein Konfliktlösungsmodus

traditionelle Psychoanalyse: Frauen haben ein schwaches Über-Ich. Hier aber: Hysterische Inszenierung als Versöhnung mit dem streng verurteilenden Über-Ich einer Hysterikerin. strenges Über-Ich, fehlende Ablösung von der Mutter, die Sexualität verbietet (auch im Zusammenhang mit dem ödipalen Konflikt). Die Mutter wird internalisiert. internalisiertes Über-Ich der Mutter besänftigen.

Selbstrepräsentanz (inneres Bild von sich selbst) verändern, um sich vor dem streng prüfenden Über-Ich anders darzustellen, als man wirklich ist. Konversionsneurose - Veränderung einer Körperfunktion. Ich bin vor Schmerz wie gelähmt, der Hysteriker sagt das nicht, sondern spielt es mit erstaunlicher schauspielerischer Leistung, von der er selbst nichts merkt, für ihn ist das echt.

Dissoziative Neurose - Veränderung des Selbstbildes. Ich habe nichts getan, ich bin unschuldig. neurotische Entlastung von einem unbewußten Konflikt. Täuschung des Über-Ichs: Superlative, übertriebene Affekte. ich das saubere von sündhaften Gedanken freie, vorpubertäre Mädchen, tendenziöse Inszenierung.

Wesen des Hysterischen - latente Motivation der Inszenierung. "Ich war es nicht, es war das Fremde in mir" - "Ganz gleich was passiert, ich habe es nicht gewollt" - "Ich kann nichts dafür" - Angst vor Verurteilung durch andere und das eigene Über-Ich. Deshalb entschuldigende Haltung.

Veränderung der Selbstrepräsentanz: pseudoprogressiv - reifer, stärker, attraktiver, angstloser. Z.B. Don-Juanismus (bei Männern) - Frauen erobern und dann verlassen, gibts auch bei Frauen [Ohja]. pseudoregressiv - schwächer, kränklicher, minderwertiger, kleinkindhafter.

Viele Frauen können sich nicht von den Anklagen [z.B. der Männer] emanzipieren, Normen nicht prüfen. Hysteriker spielen Kind, wo sie keins mehr sind, mir fehlt etwas - das kann bitterernst werden.

Hysterische Psychose - wenn ich das sehe, werde ich verrückt. Die Realität entgleitet mir. Keine Realitätskontrolle mehr. Ich werde ver-rückt. Wie bei der Schizophrenie, aber im Unterschied zu ihr vorübergehend.

Ein "normaler" Mensch sagt: ich zittere wie Espenlaub. Ich Hysteriker denkt, ich zittere wie Espenlaub, und tut es, und zittert dann tatsächlich wie Espenlaub.

1. Dezember 1994

Die vollständige Diagnose

Heute keine Postulierung eines spezifischen Konflikts für eine bestimmte Art von Neurose, wie z.B. Hysterie - Ödipuskomplex. Erotisch getönte Symptomatologie weist nicht unbedingt auf einen ödipalen Konflikt hin.

c) Welche Möglichkeiten hat der Patient mit a) und b) umzugehen? Wie stark ist sein Ich, ist es gefährdet? Entscheidung zwischen unstrukturierter Psychoanalyse im Sitzen oder Strukturen bietender sitzender psychoanalytischer Psychotherapie.

Easser und Lesser: hysterische Patienten - frühkindlicher Konflikt, der psychische Apparat ist aber schon voll vorhanden und funktionsfähig, der Konflikt wird abgewehrt. Ödipaler Konflikt, Schuldgefühle, Schwierigkeiten in der Beziehung

hysteroide Patienten - hysterische Symptome, um das eigene Selbst aufrechtzuerhalten, sich vor Dekompensation zu schützen. Schwierigkeiten der Beziehung, eine Beziehung selbst ist gefährdend. Gefahr vom anderen aufgesaugt zu werden. Ich-Störung.

sexualisierte Träume. Einer Hysterikerin: Ich war die Lieblingsfrau des Schah im Iran (Vater, der mehrere Frauen haben kann). Eine ältere Frau (die Mutter) versuchte, mich zu erschießen. Es gab Schüsse, jemand wird erschossen. neurotischer Konflikt - tabuisierte Aggression, deshalb wird der Traum am Ende so undeutlich, kein Haß auf die Mutter zugelassen, nicht sie, die Tochter, wird erschossen, sondern irgendjemand.

Traum einer Hysteroiden: Ich lebte in einen elenden, ekelhaften und schmutzigen Slum. Da kamen ein paar Landstreicher. Jemand versuchte mich zu grabschen - Lebt in Schmutz, nichts ist heil - Zustand ihres Selbst. Landstreicher versuchen sich sexuell anzunähern, sie kann sich nicht schützen, sie kann sich nicht abgrenzen [und dem Landstreicher eine scheuern...], sie findet in dem Slum keine Herberge, wo sie geborgen ist.

Ein Traum einer anderen Hysteroiden: Harry, ein bekannter Liebhaber von mir, fing an Liebe mit mir zu machen. Plötzlich mußte er sich übergeben und kotzte mich voll (Ekel vor dem Geschlechtsverkehr und ihrer Weiblichkeit). Ich sagte, macht nichts, ich menstruiere sowieso gerade (zerstörerische Selbstverachtung).

Scheinbar sexueller Konflikt - orale Verschiebung. Das Objekt des Ekels im eigenen Körper. Keine stabile Ich-Ebene, keine funktionierende Abgrenzung des eigenen Selbst, sie kann sich nicht selbst entscheiden, wer in ihren Körper darf.

Welche Ich-Regression erfolgt bei der Patientin?

Neurose - frühkindlicher Konflikt, aber der psychische Apparat ist voll ausgebildet.

Ich-Störung (strukturelles Ich-Defizit) - Die Grenze zwischen Es und Ich ist nicht stabil genug. Sie konnte nicht richtig ausgebildet werden, der psychische Apparat ist nicht voll ausgebildet.

Die Fähigkeit zu symbolisieren und etwas zu verdrängen, weil es gefährlich ist, das Urteilsvermögen, was gefährlich ist, und die vorgreifende Phantasie, sich auszumalen, was geschieht, wenn ich einem Bedürfnis nachgehe, konnten nicht störungsfrei entwickelt werden.

Es muß einen Konflikt, eine Störung vom 2. bis zum 4. Lebensjahr gegeben haben, die die Ich-Entwicklung beeinträchtigt hat. Folge: ein Ringen um das Aufrechterhalten des eigenen Selbst (Begriffe der Selbstpsychologie), damit es nicht in verpönten Wünschen untergeht. [Warum sind so viele Wünsche verpönt?? Ich denke, man sollte auch mal in diese Richtung fragen. Vielleicht ist es nicht (allein) der Patient, der den Fehler macht, sondern die Gesellschaft, die vielleicht zu viel verbietet und tabuisiert...]

Die Zwangsneurose

Strikte Orientierung an der Welt der Tatsachen, Rigidität und Perfektion, Menschen werden in das Muster starrer Normen gepreßt.

Das Muster der Wiederholung - der Hysteriker wiederholt nichts, er hat Angst davor - der Zwangsneurotiker wiederholt ständig - Wiederholungen: Der Säugling ist auf Wiederholungen angewiesen, das Gleiche in verschiedenen sich wiederholenden Situationen zusammenfassen - erste eigene Strukturen bilden. Die Mutter prägt den Lebensrythmus des Säuglings durch Wiederholungen.

Märchen immer gleich erzählen, ein Fehler in der Erzählung etwas ist anders erzählt worden, das ganze Spiel von vorne wiederholen. Mutter erzählt dem Kind ein Märchen - Wiederholen bei Unterlassungen, Weglassen von Teilen des Märchens, Mutter muß noch mal anfangen, Mutter muß länger bei mir bleiben.

Wiederholungen bieten basale Sicherheit in Leben der Veränderung - Dauer, Kontinuität - Riten, Sitten, Bräuche. Etwas, an dem man sich festhalten kann, etwas, das mir nicht unter meinen Händen davongleitet. Lebenserhaltendes Prinzip. Doch der Zwang kann überhand nehmen, Angst vor Auflösung von Strukturen, Festhalten an Altem, panische Angst vor Neuem [Wiederholung als Zwang??? So sollte es nicht sein, finde ich. Freiwilliges Wiederholen, weil man Sicherheit sucht?]

immer wieder der gleiche Weg - Alltagstrott. Hysteriker fürchten die Wiederholung und die Fakten. Zwangsneurotiker fürchten alles Neue. Ein Beispiel für eine Zwangsneurose:

Eine Patientin hatte die verrückte Vorstellung, sie könnte Schimpfwörter in Möbel und Wände eingekratzt haben. Die Vorstellung war so stark, daß sie ständig kontrollieren mußte, ob sie nicht tatsächlich etwas eingekratzt hatte. Sie kontrollierte deshalb die Wände und Möbel sehr oft nach einem bestimmten Ritual.

Wenn ihr dabei Fehler unterliefen, dann mußte sie die ganze Prozedur von vorne anfangen. Dabei wußte sie auch wie unsinnig und zwecklos dieses ständige Kontrollieren eigentlich wahr, aber sie konnte nicht anders, als es doch zu tun.

Dabei empfand die Patientin den Zwang als ich-fremd, ebenso wie ihre verrückten Vorstellungen. Der Kontrollvorgang war ritualisiert und die Patientin geriet in Unruhe und Panik, wenn sie durch äußere Umstände daran gehindert wurde, ihre Kontrollen auszuführen.

Zwangsvorstellung - abgewehrter Impuls - unterdrückt oder mit Gegengedanken abgewehrt - z.B. ein Gegenritus. Einschränkung des Ich, Zwangshandlungen, um Schreckliches zu verhindern, eine Regel, eine strikte Verhaltensregel. Durchaus pro Tag bis zu einer oder mehreren Stunden Zwangshandlung, großer Leidensdruck, Probleme im Alltagsleben.

1. bildhafte sich aufdrängende Vorstellung. Spielt sich vor dem inneren Auge ab wie ein Film. Z.B.: Ein Student stellt sich vor er könnte mit einer Nadel in den Rücken des Vorderen stechen, eine Mutter stellt sich vor, ihr Kind könnte aus dem Fenster fallen.

2. Impulse + bildhafte Vorstellung (1.) drängen zur Handlung. Z.B.: Einer Frau in den Busen greifen, oder einfach so lospinkeln.

Die Vorstellung und der Impuls sind bei Zwangsneurotikern eher bewußtseinsfähig als bei Hysterikern, die Verdrängung ist brüchig.

In den Vorstellungen und den Zwangsgedanken geht es meist um zerstören, unterdrücken, beschmutzen, besudeln, wider die Ordnung, die Sitten, die Moral handeln. Die Vorstellungen erstrecken sich auch oft auf den tabuisierten analen und sexuellen Bereich.

Prinzipielles Dagegensein, verdecktes Autonomiebewußtsein. Triebhaftes + Soziales. Ichfremde Symptome - ständiges quälendes Grübeln: Warum ist die Erde rund? Zählzwang, bei Fehler alles von vorne beginnen. Zahlen mit Gedankeninhalt verbunden, magische Verknüpfung.

Kampf zwischen Impuls und Abwehr. Handlungen: Kontrollieren, Prüfen, Saubermachen, Büßen, Waschzwang (bis zum Waschen mit scharfen Desinfektionsmitteln): Dreck und Gift in den Händen. Habe ich alles richtig gemacht? Wenn nicht, alles noch einmal. Habe ich jemanden überfahren? Immer den selben Weg noch einmal fahren, alles nachprüfen, Steine wegräumen, die gefährlich sein könnten. Ungeschehenmachen.

Vorübergehender Kontrollzwang verspüren Menschen oft, wenn sie überlastet sind.

Ich-Fremdheit: Gedanken kommen von mir, sie werden nicht von außen herangetragen (wie bei der Schizophrenie), aber ich will sie nicht, ich will sie nicht annehmen. Wiederholungszwang - wird als unsinnig verurteilt und dennoch kann der Zwangsneurotiker nichts gegen den Zwang tun.

Vorkommen und Verbreitung der Zwangsneurose: in der Adoleszenz, im frühen Erwachsenenalter häufig. Symptomatische Zwangsneurose gleichmäßig bei Männern und Frauen. Die Charakterzwangsneurose eher bei Männern.

Verlaufsformen der Zwangsneurose: meistens chronisch, wellenförmig, schwere Formen selten, leichte häufig. Schwere Zwangserkrankung weniger als 1%, unter den Neurosen 4%. Auch kurze zwanghafte Reaktion oder episodische Verlaufsformen. Selten fortschreitende, progrediente, maligne Verläufe. Manchmal ein Nachlassen der Zwänge. Keine Suchten, wesentlich geringere Suizidtendenz als bei anderen Neuroseformen. Starke Weitergabe durch Erleben, Erziehung.

8. Dezember 1994

Eine hochethische Mutter, die sich Wut gegenüber ihren Kindern nicht erlauben kann. Abwehrmechanismus der Isolierung.

Zwangsvorstellung als Entschuldigung vor dem Über-Ich. Ich-Fremdheit: Ich kann für meine aggressiven Gedanken nichts.

Charakteristischer Abwehrprozeß: Auseinandernehmen, trennen und getrennt halten. Entwicklungsphase dazu: Kind im Alter von 2-4 Jahren, Spielzeuge zerlegen und dann wieder zusammenbauen, um die Beherrschung der Umwelt zu erlernen. Aber konstruktive Phantasie auch sehr wichtig: Das Kind weint, wenn es das Spielzeug nicht mehr zusammensetzen kann.

Das Ungeschehenmachen - magische Vorstellungen und Kräfte. Ritualisierung: Sich auf bestimmte Weise vergewissern, daß man nicht doch bestimmte verpönte Sprüche in die Wände gekratzt hat, von links nach rechts und oben nach unten alles mehrfach überprüfen und so weiter.

Präoperationales Denken: Gedanke und Tat werden nicht getrennt; was ich denke, das geschieht auch so. Selbstbeschränkung und eingeengte Phantasie dadurch.

Angst vor Zerstörung und damit verbundene Schuldgefühle. Nochmal zur Entwicklungsphase: Kind im Alter von 2-4 Jahren, ein Elternteil verläßt die Familie, Schuldgefühle: ich bin dafür verantwortlich, weil ich zum Beispiel nicht immer brav gewesen bin, magische Verknüpfung. Ich habe die Kontrolle darüber, was ein anderer tut und läßt. Die Kontrolle behalten - es darf auf keinen Fall außer Kontrolle geraten. Rituale um das zu sichern.

Reaktionsbildung - Gegenhandlung, z.B.: Sauberkeits-, Waschzwang gegen "schmutzige" Vorstellungen. Verdeckung - quälende Gedanken und Phantasien zurückdrängen. Verdrängen, indem ich zwanghaft immer das Entgegengesetzte denke. Das ist beim Depressiven mehr ausgeprägt.

Abgewehrte Impulse - Träume, zum Beispiel: Mit dem Stock reihenweise Blumen abschlagen, deren Köpfe Menschenköpfe sind. Aggressive oder sexuelle Wünsche und Träume.

Zwangsneurotiker überdurchschnittlich intelligent. Die Intelligenz im Dienste der Abwehr: Zum Beispiel tausend Möglichkeiten suchen den Waschzwang zu begründen, um nicht sehen zu müssen, daß er eigentlich sinnlos ist. Rationalisierung, Intellektualisierung - kann zum Charakterzug werden: Charakterabwehr.

Was wird abgewehrt?

Triebstruktur. Analerotische Inhalte: Beschmutzen, besudeln, beschmieren, Ekel empfinden. Analsadistische Inhalte: Zerkleinern, zersetzen, stänkern, rebellieren, zerstören und unterdrücken. Regression auf die anale Phase, auf Phasen, die mir mehr Befriedigung versprochen haben, wie die konflikthafte Phase, in der ich mich gerade befinde. Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit der Autonomie.

Anale Phase, 2-3 Jahre alt: Reinlichkeitsdressur, von Mutter abgrenzen, Nein sagen, Trotzanfälle, innere Autonomie erlangen.

Wichtige Frage: Wie reagieren Eltern auf aggressive Impulse und Autonomiebewußtsein? Früher und auch heute zum Teil noch leider oft noch die Auffassung: Hier müsse man den Willen des Kindes brechen, damit es später brav wird. Analogie zum Gehorsam im Nationalsozialismus, der so viele Naziverbrechen erst ermöglichte.

Wichtig daher: Den Willen des Kindes akzeptieren und respektieren. Das Kind seine innere Autonomie entwickeln lassen. Zwangsneurotische Entwicklung daher oft das Gegenteil davon: Das Kind wird in seiner Autonomie behindert. Erfolg und Autonomiebestreben nicht liebend begleitet. Das Kind muß seine Aggressionen verdrängen, es kann sich nicht von den Eltern trennen, sich nicht als autonome Person wahrnehmen, es kann sich nicht von den Eltern lösen.

Das Kind schreibt seiner Aggression gegen die Eltern verheerende Folgen zu - magisches Denken: Ich kann meine Eltern zerstören, wenn ich zornig auf sie bin. Ich darf deshalb nicht zornig sein. Glaube an die Allmacht der Gedanken: Was ich denke, wird passieren, meine Phantasien sind real, werden real.

Ambivalenz: Die Verselbständigung ist mit der Entladung massiver Aggressionen verbunden, dennoch auch bei den Eltern bleiben wollen, abhängig sein wollen, Angst, von den Eltern wegen der Aggressionen verstoßen zu werden.

Magische Vorstellungen treten aber auch außerhalb des zwanghaften Denkens auf! Nicht jeder, der magische Vorstellungen hat, ist Zwangsneurotiker. Zum Teil sind diese Vorstellungen bestimmt auch berechtigt, möglicherweise sogar war, zum Beispiel: Gedankenübertragung, Telekinese.

Die Über-Ich-Struktur des Zwangsneurotikers

Erziehung von Zwangsneurotikern meist streng, strafend, einschränkend, lieblos, ohne positive Bestärkung, ohne Lob und mit harten, vielleicht sogar unerfüllbaren Anforderungen. Das alles geht ins Über-Ich des Zwangsneurotikers ein, der das dann weitergibt an seine Kinder, wenn er nicht erkennt, was Sache ist.

Das Über-Ich eines Zwangsneurotikers verlangt nicht, daß sein Forderungen erfüllt werden. Es will unterdrücken, so wie der Zwangsneurotiker von den Eltern unterdrückt wurde, es will fortsetzen, was seine Eltern ihm angetan haben. Es will verurteilen, quälen. Der Zwangsneurotiker hat eine überaus masochistische Beziehung zum Über-Ich.

Was müßte ich eigentlich tun? Das Handeln wird ins Denken verlagert. Ich denke nur, was ich tuen müßte, tue es aber nicht, damit es mir das Über-Ich dann wieder mal so richtig geben kann. Damit ich mich selbst verurteilen kann.

Das sadistische Über-Ich wird aber nicht nur aus der Erziehung und dem Elternbild heraus gespeist, es gibt noch eine andere Quelle seiner Grausamkeit. Aggression des Über-Ichs aus der analerotischen Triebstruktur des Neurotikers. Überbleibsel der nichtmodifizierten Aggression des Kindes geht ins Über-Ich [, weil es sie nicht ausleben konnte?]

Äußere Einflüsse: Phantasien, Aggressionen. Ein sadistischer oder ein schwacher Elternteil, oder beides ein sadistischer und ein schwacher Elternteil [Mann quält seine Frau, oder umgekehrt]. Oder eine depressive Mutter zum Beispiel, die keine Aggressionen verträgt oder von der das Kind denkt, sie vertrage keine Aggressionen, und damit eine aggressive Mutter-Kind-Auseinandersetzung unmöglich macht.

Es gibt also keine 1:1-Umsetzung: Der Zwangsneurotiker ist nicht genau so, wie er erzogen wurde. Er hat das verarbeitet, noch eine Menge anderer Impulse bekommen. Und er hat eigene Phantasien und Gedanken. Also nicht einfach nur fragen: Wie war Deine Mutter, wie war Dein Vater?? Sondern: Wie hast DU Dich gefühlt, als Du von Deinem Vater oder Deiner Mutter so oder so behandelt wurdest?? Wie hast Du Deine Eltern erlebt?

Alles durchdringende Ambivalenz eines Zwangsneurotikers wie auch eines gesunden Menschen: Jemanden lieben, brauchen, abhängig sein wollen - Aggression, Zorn, Wut, Autonomie, Selbstfindung. Zwischen diesen beiden Polen leben wir alle.

Wichtige Trennung von Gedanke, Phantasie und Tat: Vater - sexuelle Phantasie von der Tochter. Tat: Sexueller Übergriff gegenüber der Tochter, die ihre Aggression dann meist nicht äußern kann und darf. Es muß bei den Phantasien bleiben.

1:1-Umsetzung ist wirklich nicht tragbar: Die Eltern-Kind-Beziehung ist immer eine - mehr oder weniger - dialogische! Egal wie liebevoll oder grausam die Eltern nun gewesen sein mögen. Reaktion auf das Abschneiden von Spontaneität ist massive Aggression, diese dann nicht äußern dürfen, noch größere Aggression, Aggression unterdrücken, verlagern, projizieren. Zum Beispiel massive Wut gegenüber der Mutter und massive Angst, daß sie mich verläßt, wenn ich meine Wut zeige.

Bestrafung, Schuldgefühle, Aggression. Daher ist es wichtig seinem Kind, oder als Therapeut seinen Patienten zu zeigen: Ich verlasse Dich nicht, auch wenn Du aggressiv bist. Unsere Beziehung hält Aggressionen aus. Aber Du wirst auch Enttäuschungen erleben, auch unsere Beziehung ist nur eine menschliche und keine perfekte.

Den Patienten einen Rahmen geben: Das Therapie-Setting bleibt so, wie wir es ausgehandelt haben, sie können sich darauf verlassen. Wichtig: Trennung zwischen Phantasie und Tat. Eine Situation die vorkommen kann: Patient bringt Pistole in die Therapie mit massiver Wut auf den Therapeuten und den (Zwangs-)Gedanken, ihn umzubringen. Versuchung des Therapeuten dann: Ich breche die Therapie ab.

Besser: Ich behandele sie weiter, wir können uns darüber unterhalten, warum sie die Waffe mitgebracht haben, vorher aber legen sie bitte die Waffe weit weg, außerhalb ihrer Reichweite. Die eigene Angst eingestehen und sagen, ich kann sie nicht therapieren, solange sie eine Waffe bei sich haben, weil ich dann Angst habe. Legen sie die Waffe weg.

15. Dezember 1994

Freuds Forderung, zwanghaftes Verhalten als anale Regression zu erklären, ist heute nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Eine Spezialform zwanghaften Verhaltens ist die zwanghafte Arbeitsstörung, wo jemand eine Pflicht erfüllen will und dies durch das Ausführen zahlreicher andere Pflichten aber gleichzeitig wirkungsvoll verhindert. Das kann den Zweck haben, einen Erfolg, der einen Sieg über einen (männlichen) Rivalen bedeutet, wirkungsvoll zu verhindern.

Ein weiteres Motiv kann die Angst vor dem Erwachsenwerden sein. Das Gefühl, das noch alles möglich ist, und man sich nichts verbauen will, kann zusammen mit dem Wunsch, sich die wohltuende Abhängigkeit von den Eltern noch eine Weile zu erhalten, das Erreichen von Erfolgen blockieren.

Die Zwangscharakterneurose

Analcharakter, Ordnungsliebe, Sparsamkeit, Eigensinn. Leistungscharakter, selbstbeherscht und entschlossen, übermäßig engagiert, keine Gefühle ausdrücken, z.B.: putzsüchtige Hausfrau oder ein sich überarbeitender Kaufmann.

Weder wirkliche Zustimmung, noch echter Widerspruch, frustrierende Diskussionen, in dem nichts wirklich ausgesagt wird. Nichtbeachten der Argumente des anderen, aneinander vorbeireden. Keine wirkliche Unterhaltung, Konzentration auf einen Teilaspekt, fokussierte nicht willentliche Aufmerksamkeit.

Eine atmosphärische, impressionistische, ganzheitliche und damit auch unvollständige Wahrnehmung ist unwillkommen. Sie wird als Ablenkung vom Wesentlichen abgetan, ebenso wie die eigenen Gefühle.

Der Handlungsmodus eines Zwangscharakterneurotikers (siehe auch Bild zwanghafter Denkstil): sich anstrengen und alles versuchen, "Aber ich habe doch alles versucht", alles ernst sehen, sogar Es-sich-gut-gehen-lassen wird ernst gesehen. Sich mit einer Aufgabe belasten, sich ermahnen, aber die Aufgabe dann nicht wirklich erledigen.

Etwas tun wollen, es aber nicht tun. Einen Zustand des Sich-Bemühens erzeugen: "Aber ich bemühe mich ja, siehst Du das nicht, aber es klappt trotzdem [oder gerade deshalb] nicht"

Sich als sein eigener Aufseher betrachten: Was darf ich tun, was darf ich denken, wünschen, fühlen? Eigentlich sollte ich, das nicht denken, das nicht fühlen, das tun und so weiter.

Ständige spürbare Willensanspannung. Selbsteuerung, die aber nicht dem Erfüllen der Aufgabe dient. Wünsche = Versuchungen, denen ich aber nicht wirklich nachgeben darf.

Zwangsneurotiker können sich nicht nach ihren Gefühlen richten, sie können nicht auf Gefühle zurückgreifen, um sich selbst zu steuern. Aufseher, der ermahnt und einen nicht verläßt. Eine Lockerung des inneren Drucks, der Anspannung gilt als unschicklich.

Der innere Aufseher wird als elementarer Schutz erlebt. Der innere Aufseher als Schutz vor dem Triebhaften.

Immer wieder Gegenargumente zur gerade bevorzugten Entscheidung, ein ewiges Hin-und-Her.

Realitätsverlust: Es ist nicht wirklich, aber es könnte so sein, kein Gefühl, der Gewißheit, nicht sagen können, es ist so. Z.B. ein Mann wird gefragt, ob er die Frau, die er gleich heiratet, auch liebe: "Ich muß sie wohl lieben, sie hat alle Eigenschaften, die ich mir wünsche. Aber ich weiß es nicht, vielleicht auch nicht. Oder doch?...."

Dogma und Zweifel stellen sich gegen jede Gewißheit. Eine Krankenschwester zum Beispiel: Überlegt sich Jahre nach dem Tod eines Patienten, ob sie daran Schuld sein könnte, weil sie ihn an einem Abend nicht mehr gekommen ist. Sie überlegt dies, obwohl die Ärzte und alle anderen davon überzeugt ist, daß sie keine Schuld trifft.

Die Zwangsneurose als Ich-Störung?

Strukturerhaltung der Persönlichkeit durch die Zwangsneurose? Es gibt da einen psychologischen Test namens Minnesota Multiface Personality Indexes. Dieser MMPI-Test stellt unter anderem hysterische, zwanghafte und schizoide Anteile in der Persönlichkeit der Testperson fest.

Dabei stellte sich heraus, daß Zwangsneurose und Schizoidie möglicherweise eng miteinander im Zusammenhang stehen und die Zwangsneurose manchmal dem Zweck dient, eine Schizoide zu verhindern oder hinauszuzögern. Schizoidie, das ist die Selbstentfremdung, der Persönlichkeitszerfall und der Persönlichkeitsverlust, der im allgemeinen als wesentlich bedrohlicher erlebt wird, als Zwangsdenken und -handeln.

Der Schizoide glaubt mitunter an Gedankenübertragung, benutzt oft eine Geheimsprache, die zum Beispiel aus kodifizierten magischen Signalen besteht, hat das Gefühl, daß eine fremde Macht ihn kontrolliere, seine Gedanken nicht seine eigenen sind, sondern ihm übertragen, eingeflößt wurden. [Mal ernsthaft, wer kann ihm eigentlich das Gegenteil beweisen??]

All diese Eindrücke ergreifen zwanghaft Besitz über den Schizoiden, er kann sich nicht dagegen wehren. Zudem kann es bei Schizoiden auch zur einer Persönlichkeitsspaltung kommen.

Eine vorgeschobene Zwangsneurose kann nun als Abwehr gegen den drohenden Persönlichkeitszerfall, -verlust, ihre Spaltung dienen. Bei solchen Patienten kann es passieren, daß sie ein Zwangssymptom regelrecht wahnhaft ausgestalten.

Dies muß jedoch nicht gleich auf Schizoidie hindeuten, auch wenn die wahnhaften Zügen denen des schizoiden Wahns ähnlich sind. Es kann auch ein im Rahmen der Zwangsneurose vorübergehendes Symptom sein, muß es aber nicht.

Zwangsvorstellungen werden im allgemeinen auch als ich-fremd erlebt, ohne dabei schon schizoid zu sein. Auf Worte gerichtete zwanghafte Vorstellungen können auftreten.

Das macht es schwierig, zwischen Neurose und Wahn, zwischen Zwangsstörung und drohendem Persönlichkeitszerfall zu differenzieren. Und diese Differenzierung ist wichtig, bei der Neurose behandelt man den zugrundeliegenden Konflikt, bei der Schizoidie geht es zunächst um den drohenden Zerfall der Persönlichkeit.

Während es man es bei der Neurose also mit einem verdrängten Konflikt zu tun hat, geht es bei drohendem Selbstzerfall um den Schutz der Persönlichkeit, möglicherweise auch durch ein Zwangssymptom, daß der Patient verwendet, um seine Persönlichkeit zu erhalten. Hier wird schon mal ein großer Unterschied deutlich. Bei der Neurose ist es zweckmäßig, den verdrängten Konflikt und das damit verbundene Zwangssymptom zu behandeln, bei der Schizoidie kann gerade die Behandlung des Zwangssymptoms dazu führen, daß die schon angegriffene Persönlichkeit des Patienten weiter zerfällt.

Die Therapie eines Schizoiden mit Zwangssymptomen ist daher schwierig, weil man nicht auch die Möglichkeit der freien Assoziation zurückgreifen kann, da dies den Persönlichkeitszerfall möglicherweise beschleunigt. Der Therapeut muß deshalb bei einem solchen Patienten, die Schutzfunktion der verstärkten Zwanghaftigkeit sehen. Man kann innerhalb dieses Rahmens dann ein Zwangssymptom sogar zeitweise anerkennen: "Ich sehe diese Einschränkung, dieses Zwangssymptom ist für sie mit ihren Möglichkeiten momentan wichtig und notwendig." [vielleicht etwas anders formulieren...]

Das verstärkte Über-Ich dient als Schutz vor Schizoidie beziehungsweise dem verdrängten Konflikt, der mitunter auch das eigene Selbst bedroht, und der Therapeut gerät so schnell in die Rolle des mütterlichen oder väterlichen Über-Ichs und übernimmt die Schutzfunktion teilweise.

Die Therapie eines Zwangsneurotikers ist so oft ein langer Weg mit oft nur winzigen Erfolgen. Quint und Benedetti empfehlen, den Patienten zur lustvollen Erfahrung der eigenen Aggression zu verhelfen, dem Patienten klarzumachen, daß seine Aggression gar nicht mal so fatale Folgen haben muß. Oft fragen sich solche Patienten gar, wie sie ihren Analytiker ärgern können. Der Therapeut sollte dann auch zeigen, daß er sich berührt, betroffen und getroffen fühlt, damit der Patient das lustvolle seiner Aggression wahrnehmen kann und gleichzeitig sieht, daß sie den Therapeuten nicht zerstört.

Wichtig ist es auch, die in dem Zwang des Patienten verkörperten Leistungen zu achten: "Das muß sehr anstrengend für sie gewesen sein". Durch Gegenübertragung des Therapeuten besteht allerdings auch die Gefahr, in eine sadomasochistische Beziehung hineinzuschliddern. Darauf darf sich der Therapeut nicht einlassen, sonst scheitert er schnell am Perfektionsanspruch des Patienten, der dann alles daran setzt, dem Therapeuten zu beweisen, daß er ihn doch nicht verstehen kann, und ihn damit zu demütigen.

Dieser Machtkampf zwischen Patient und Therapeut ist gerade bei weiblichen Patienten und männlichen Therapeuten oft leider zu beobachten: Es gibt dann Machtkampf dort, wo die Patientin eigentlich (oralen) Schutz sucht und sich wünscht, der Therapeut möge ihr überlegen sein. Wenn der Therapeut das fehlinterpretiert und in einen Machtkampf einsteigt, ist das Scheitern der Therapie vorprogrammiert.

Der Therapeut bemüht sich dann ständig, sich vom Patienten nicht unterkriegen zu lassen, der Patient kann sein Schutzbedürfnis nicht rüberbringen und verfällt dann in pseudoregressive Progressivität, weil seinem Schutzanspruch nicht Rechnung getragen wird. Er hält sich dann für stark und des Schutzes nicht bedürftig.

Wenn die Therapie eines Zwangsneurotikers erfolgreich sein soll, muß der Zwangsneurotiker etwas für den Therapeuten Liebenswertes an sich haben. Ansonsten sollte man sich überlegen, eine andere Therapieform anzuwenden, die mehr Strukturen vorgibt, wie zum Beispiel die Verhaltenstherapie.

Es ist also wichtig, zunächst die Indikation, Prognose und die möglichen Gegenübertragungstendenzen soweit wie möglich sich vorher schon bewußt zu machen.

22. Dezember 1994

Die Depression

Depression als ein - der häufigsten - Möglichkeiten, Unerträgliches erträglich zu machen - durch Depressivsein (siehe auch Dörner/Plog). Begegnung mit einer Depressiven wie Begegnung mit den eigenen depressiven Anteilen, sich in ihnen verlieren.

Gefühle wie Trauer, Hoffnungslosigkeit, Angst, Traurigkeit, Sich-hängen-lassen, aber auch, ich kann mir eine Depression nicht leisten, ich muß funktionsfähig bleiben. Die Traurigkeit unterdrücken, sich verbieten, sich zusammenreißen, sich einschränken, Gefängnis. Opfer und Täter zugleich im Gefängnis.

Frage in einer Gruppe: Wie fühlst Du Dich, wenn Du depressiv bist? Alles mißlingt, gehemmt, gelähmt, Angst vor offener Auseinandersetzung, Leistungsdruck: ich kann nicht mehr. Schwäche, Hilflosigkeit, Langweiligkeit. Durch Depressivsein eine Beziehung steuern. Neigung sich mit der Depression zu befassen ist wichtig, für jemanden, der sie verstehen will.

Es gibt sehr tiefe Depressionen, aber keine Depression dauert ewig.

Die neurotische Depression nennt man auch dysthyme Störung. Man muß sie von der endogenen Depression unterscheiden. Bei der neurotischen Depression führt ein bisher dem Depressiven nicht bekannter Konflikt zu Verstimmungen und Traurigkeit. Bei der endogenen Depression geht man von organischen Störungen aus.

Weiteres Kennzeichen einer neurotischen Depression ist die Disphorie. Der Depressive kann sich an nichts freuen, ist mißmutig und "grantelt vor sich hin". Die Aufforderung, sich zu freuen empfindet er als Leistungszwang, eine Aufforderung, der er nicht nachkommen kann, weil er ja traurig ist.

Ein im DSM-III-R nicht erwähntes Symptom sind die massiven Selbstanklagen, die Angst zu versagen, anderen durch die eigene Depression schaden zuzufügen und so weiter. Gerade dieses Symptom führt dann häufig zu Selbstmordgedanken, manchmal bis hin zu - mitunter "erfolgreichen" - Suizidversuchen.

Ein Depressiver hat auch meist nur wenig soziale Kontakte. Er hat das Gefühl, die Verstimmung dürfte nicht sein, kann nicht sagen, warum er traurig ist, und traut sich nicht mehr unter Menschen, die ihm ansehen könnten, wie traurig er ist, und ihm das übelnehmen könnten.

Der Gedanke, ich schade durch meine Depression und bin nicht funktionsfähig, ist allgegenwärtig für einen Depressiven. Spätestens hier wird auch der Einfluß unserer Gesellschaft, die sich zunehmend zu einer gefühllosen Leistungsgesellschaft hinentwickelt, deutlich.

Mit diesen Gedanken kommen dann meist auch Schuldgefühle, das Gefühl, versagt zu haben, das Gefühl, für alles Unglück der Welt verantwortlich zu sein.

Das Denken und die Bewegungen eines Depressiven sind häufig verlangsamt, gehemmt und gebunden.

12. Januar 1995

Melancholie - tiefschmerzliche Verstimmung, Verlust der Liebesfähigkeit, Störung des Selbstwertgefühls, Abwendung von jeder Leistung. Trauer genau wie Melancholie, aber ohne die Störung des Selbstwertgefühls.

Freud, oral: Ein verlorenes Objekt behalten, Wunschpsychose - Trennungsarbeit. Libido an Objekt geknüpft; "Das Ich wird nach Beendung der Trauerarbeit frei und ungehemmt." Erinnerungen nochmal intensiv erleben, es wird nicht mehr wiederkehren, sukzessiver Abschied, Möglichkeit einer neuen Beziehung. [Kann man mehrere Objekte lieben?]

Melancholie: auch ideeller Verlust; die Liebesfähigkeit ist nicht weg, das Liebesobjekt aber unerreichbar. Unbewußter Verlust. Der Trauernde weiß, worum es trauert, der Depressive nicht. Unbekannter Verlust, rätselhafte Traurigkeit, Herabsetzung des Ichgefühls. Das Ich ist arm und leer geworden, es ist verarmt. Beim Trauernden hingegen ist die Welt arm und leer geworden.

Strafe erwarten, Unwürdigkeit, (Selbst-)Erniedrigung, Kleinheitswahn.

Überwindung des Selbsterhaltungs-, des Lebenstriebes. Das Ich identifiziert sich mit dem verlorenen Objekt. Keine Verschiebung auf neues Objekt möglich, Festhalten an etwas Vergangenem. Libido ins ich zurückgezogen.

Identifizierung: "Der Schatten des Objekts fiel nun auf das Ich..." Der Objektverlust wird zum Ichverlust. Ich-Kritik, verändertes Ich. Die dem Objekt geltende Wut über das Verlassenwerden wird nicht hinausgeschrien, sondern auf das Ich zurückgewendet. Das Ich wird zum Objekt, Autoaggression ersetzt Heteroaggression.

Wendung der Aggression gegen die eigene Person, auf diese Weise das Objekt festhalten. Das Objekt fällt wie ein Schatten auf das Ich und droht es zu zerstören.

Depression als Folge eines Abwehrmechanismus´! Therapie: Den Abwehrmechanismus auflösen, Aggression bewußt wieder nach außen richten, sie erleben und äußern. Aber ist das alles?

Abwehr: Frühe Enttäuschungen, frühes Kindheitserleben, verdrängte Trauer, Konflikt der in der Kindheit nicht angemessen gelöst werden konnte, neurotischer Konflikt. Oft ein Konflikt in der frühen Mutter-Kind-Beziehung, seltener in der frühen Vater-Kind-Beziehung. [Warum?]

Mutter verläßt das Kind zum Beispiel, das Kind erlebt dies schmerzlich und spürt Wut auf die Mutter. Gleichzeitig ist es jedoch auf die Mutter angewiesen. Um nun die eigene Wut nicht gegen die Mutter - oder den Vater, immer mitdenken! - richtet zu müssen, was die Mutter ja zerstören könnte, identifiziert es sich mit der Mutter, so daß es die Aggression gegen sich selbst richtet kann, was die Mutter nicht zerstören kann.

Das Kind will sich die Mutter erhalten, also schreibt es sich selbst die Schuld daran zu, daß die Mutter es verlassen hat. Die Mutter oder den Vater idealisieren. Die Aggression nicht gegen die Mutter richten, weil diese einen sonst vielleicht wirklich verläßt, vielleicht gar für immer. Selbstanschuldigungen, latente Vorwürfe.

Therapie: Aggression nach außen richten (siehe oben). Das beißt sich mit der Abhängigkeit vom Objekt. Ein Depressiver kann oft ohne das übernommene Ich-Ideal zunächst nicht leben, daher droht Selbstmordgefahr, wenn man den Patienten nur ermutigt, die Aggression nach außen zu richten.

Der Patient sieht dann, wie seine Aggression die Mutter, den Vater oder Mutter- beziehungsweise Vaterfigur angreift und sie zu zerstören droht. Er braucht aber diesen Menschen gleichzeitig so sehr, daß er mit dieser Aussicht nicht leben kann, daß er ohne diesen Menschen nicht leben kann. Deshalb braucht der sein Ich-Ideal, das verhindert, daß die Aggression gegen das Objekt geht.

Zusätze zu dieser Freudschen Theorie: Bibring, 1953. Psychoanal. Das Streben nach dem Ich-Ideal kann frustriert werden. Störung des Selbstwertgefühls durch ein überhöhtes Ich-Ideal. Die Selbstanforderungen sind nicht erfüllbar. Hilflosigkeit als Erleben der eigenen Ohnmacht. Warum wird aber dieses Ich-Ideal so beherrschend?

Was entscheidet, ob das Kind eine "normale" oder eine depressive Entwicklung durchmacht? Phasenadäquate Enttäuschungen, die verkraftet werden können, sind sehr wichtig für eine "normale" Entwicklung. Das Kind darf nicht überfrustriert werden. Frustrationen sind nicht vermeidbar, aber sie dürfen nicht überhand nehmen. Zu massive, nicht bewältigbare Enttäuschungen rufen nach anderen Lösungen, nach depressiven Symptomen, nach Verdrängung, nach Abwehr, nach Identifizierung und Idealisierung.

Die Desillusionierung der kindlichen Phantasie von der Allmacht der Eltern muß sanft und schonend erfolgen, sie muß stattfinden, damit das Kind die Realität findet, aber sie darf nicht überstürzt stattfinden.

Hoffnungslosigkeit und Leere durch zu viele, massive Enttäuschungen. Identifizierung mit den Eltern zur Vermeidung der eigenen Wut auf sie: Gottgleiche Eltern, freundliche, feindliche Eltern, strafende Eltern.

Selbstpsychologie: Das Kind traut den Eltern zunächst eine magische Macht zu. Die narzißtische Verknüpfung mit dem Liebesobjekt, führt dazu, daß eine Entwertung der Eltern, der Liebesobjekte auch zur Selbstentwertung führt. Die Eltern idealisieren, um die eigene Entwertung überleben. Die Eltern sind gut, ich bin gut. Weg, um dem Gefühl der völligen Wertlosigkeit wenigstens ab und zu aus dem Wege gehen zu können.

Neues Objekt, Hoffnung in andere Richtung lenken nicht möglich. Entwertung, Aufwertung, Enttäuschung, Idealvorstellung. Spätere Männer und Frauen werden zu Idealabbildern der eigenen Eltern. Diese Menschen können dieser Idealvorstellung nicht standhalten, Enttäuschung, Wut, Suche nach neuen Objekt und so weiter und so fort.

Reaktive Bildung des Ich-Ideals, übersteigerte Idealisierung. Jedes Kind braucht eine gewisse Idealisierung. Aber nicht so stark, sonst unlösbare Abhängigkeit. Das andere Objekt muß da bleiben, sonst bricht meine an es gekoppelte Selbstachtung zusammen, sonst breche ich selbst zusammen.

Aber auch so: Ich erfülle mein Ich-Ideal nicht - wie könnte ich auch, aber das weiß ich dann nicht -, ich habe versagt. Meine Selbstachtung bricht also auch zusammen, wenn das Objekt, mein Objekt da bleibt. Sie bricht so oder so zusammen.

Das passiert nur dann nicht, wenn die sukzessiven Enttäuschungen, die mit der notwendigen Entidealisierung der Eltern einhergehen, verarbeitbar, verkraftbar bleiben.

Sonst wird die Idealisierung auch auf andere Objekte übertragen, die ähnlich sind. Es gibt dann immer wieder Mütter und Väter, die ideal sein müssen. Elternbilder als Wurzeln des Ich-Ideals. Die Objekte müssen sich ideal verhalten und dürfen mich nicht verlassen, weil ich sonst ein idealisiertes Selbstobjekt verliere.

Freud: Trennung vom Objekt nicht verkraftbar. Selbstpsychologie: ähnlich, idealisierte Objekte, Selbstobjekte. Das Selbstobjekt ist zum Aufrechterhalten der Selbstachtung erforderlich. Über-Ich, Gebote und Verbote der Eltern, Schuldgefühle gegen Ich-Ideal, internalisierte Wertschätzungen gegenüber den idealisierten Eltern. Das Ich-Ideal ist überhöht.

Wichtig: sich nicht unter der Knechtschaft des Über-Ichs befinden. Die Abhängigkeit sehen und danach die Aggressionen nach außen richten.

Drei Depressionstypen nach Benedetti, 1988, Schweiz (eine eher didaktische Unterscheidung):

1) ES-Depression: Große, lang verkannte, nicht erfüllte Ansprüche und Bedürfnisse nach Abhängigkeit, Pflege, Umsorgtwerden, Schutz, Geborgenheit. Unwirklichkeit der Erfüllung dieser existenziellen Wünsche. Aggressionen gegenüber, dem der auf die Wünsche nicht eingeht, zum Beispiel die Mutter, sind verboten.

Verlust, der nicht erlebt und geäußert werden kann. Angst, Todesangst vor dem Selbstzerfall. Wunsch enge Objektbeziehung aufrechtzuerhalten. Selbstvorwürfe, Schuldgefühle.

Depression auf indirekte Weise anklagend, Verdrängen der Wünsche, keine Wünsche äußern können: Was wünschen sie sich? Was wollen sie, daß ich wünsche? Und dann: Vorwurf, Du weißt ja auch nicht was ich wünsche.

Herbst, Winter, verlorengegangene Sonne. - Gefühl, den Verlust durch eigene Schuld verursacht zu haben. Reale Verluste: Zum Beispiel Mutter gestorben. Oder Phantasien: Früheres gut, jetziges schlecht, nichtaufgegebene Ansprüche. Bis zurück in die intrauterine Existenz, Trostphantasien.

Dependente Persönlichkeitsstörung. Andere als bedürfnisbefriedigende Objekte, die diesen Druck aber nicht aushalten können. Bei den Objekten Furcht, ausgesaugt zu werden, sie weichen zurück. Dann wieder der Selbstvorwurf: "So wie ich bin, kann mich ja keiner lieben!" Sozialer Rückzug beim Depressiven.

Phantasiertes Gegenmittel: im anderen aufgehen. Appelative Suizidversuche oder Drohungen: "Wenn Du nicht bei mir bleibst, dann bringe ich mich um!" Suizidversuche als letzte Rettung.

2) Über-Ich-Depression: Eigene Existenz wird verneint. Unbarmherziges Sich-Selbst-Anklagen. Sadistisches Über-Ich (vgl. Zwangsneurotiker) erschöpft libidonöse Reserven; Liebesunfähigkeit. Kognitive Verzerrungen, Irrtümer (Kognitive Verhaltenstherapie), nur das sehen, was die eigene Depression verstärkt.

Nichts Freudiges, nichts Schönes annehmen. Freud: Nachholen einer Trauerarbeit.

3) Narzißtische Depression: Selbstpsychologie. Die Kränkung steht im Vordergrund, andere wichtige Objekte sind entwerter oder man selbst ist entwertet. Kränkungen, andere Objekte entsprechen nicht den Idealen, sich selbst kränken. Oder sich selbst aufwerten, Großartigkeitsvorstellungen, die enttäuscht werden, gestörte Idealbildung. Gefühl, kleine Aufgaben nicht erfüllen zu können.

Unbewußte Selbstanforderungen, Grandiosität: a) widersprüchliche Infos: Sei erfolgreich, aber zeige, daß Du es auch nicht schaffst. b) Vater: sei erfolgreich, aber überwinde mich nicht. c) zu hohe Selbstanforderungen der Eltern. d) Verlassenheitserfahrungen: Dem Ideal nicht die Treue kündigen. e) Rationalisierung, ersetzen mit banalen Anforderungen.

Unbewußte Selbstanforderungen, die die tatsächlichen Möglichkeiten weit überschreiten. Frustration, Enttäuschung, Leid: typus melancholicus. Treu zum erhaltenen Mandat, zur erhaltenen Aufgabe: Belohnung der Eltern für eine nicht erfüllbare Aufgabe, eine Belohnung, die nie kommen wird.

Eine Depression hat immer alle drei Aspekte in unterschiedlicher Gewichtung, die Unterscheidung der drei Typen dient nur der didaktischen Klarheit.

Mentzos "Neurotische Konfliktverarbeitung": Depressiver Modus der Konfliktverarbeitung. Herabsetzung des Selbst, Autoaggression, Identifizierung mit dem verlorenen Objekt, wobei die Elemente sich gegenseitig verstärken, wie bei einem Teufelskreis.

19. Januar 1995

Die Therapie der Depression

Wichtige Frage bei einer Therapie: Wie groß ist das Suizidrisiko? Es ist erhöht, wenn die depressive Stimmung am Abklingen ist. Während einer massiven Depression hat jemand nicht die Energie, den Antrieb zum Suizid. Während dem Abklingen der Depression kann es aber passieren, daß der Antrieb vor der Stimmungsbesserung steigt, und dann wird es gefährlich.

Gerade bei anpassungsfähigen, gefügigen Patienten, bei denen der Therapeut schnell das Gefühl bekommt, daß sie gute Fortschritte machen, kann es ganz plötzlich zu einem Rückfall oder gar einem Suizid kommen.

Wenn der Therapeut den Patienten nicht direkt fragen kann, wie groß sein Suizidrisiko ist, und das ist wohl meistens der Fall, muß zumindest rausfinden, in welchem sozialen Kontext der Patient lebt. Wenn er nicht viele Kontakte hat, niemanden, an den er sich wenden kann, wenn er verzweifelt ist, dann muß man ihm zumindest eine Telefonnummer geben, bei der er notfalls auch nachts jemanden erreichen kann.

Auch die Frage nach vergangenen Suizidversuchen und Suizidversuchen der Elterngeneration ist sehr wichtig. Es kommt oft vor, daß Kinder sich mit den Eltern identifizieren und diese Identifizierung internalisieren, so daß sie eventuell genau in dem Alter, in dem die Mutter oder der Vater einen Suizid versuchte, das auch versuchen.

Ein weiterer Ansatz ist wichtig. Es kann gut sein, festzustellen, ob der Patient eher aus seinem Eltern-, seinem Erwachsenen-Ich, oder seinem Kindheits-Ich herausspricht (Transaktionsanalyse).

Eltern-Ich (Über-Ich): eigene Impulse zurückstellen, helfende Position, beschützend, tadelnd. Wie Eltern auf ein Kind eingehen.

Kindheits-Ich (ES): Gefühle, Freude, lachen, verzweifelt sein, ein Eltern-Ich brauchen.

Menschen sprechen meist vorwiegend aus einem Ich heraus. Daher kann man dann auch zwischen dem, der eher aus dem Eltern-Ich, und dem, der eher aus dem Kindheits-Ich herausspricht, unterscheiden: Unterschiedliche Persönlichkeitstypen.

Daher hatte eine Therapeutin auch mal die Strategie, bei Festen, Patienten des einen Typs mit Patienten des anderen Typs zusammen zu setzen.

Erwachsenen-Ich, das zwischen dem Eltern-Ich und dem Kindheits-Ich vermittelt: Problem aus der Erwachsenensicht heraus betrachten, versuchen, die beiden anderen Positionen zum Ausgleich zu bringen.

Depressive sprechen oft aus dem Eltern-Ich heraus. Sie stellen sich viele Aufgaben, überfordern sich chronisch. Einem solchen Patienten darf man nicht mehr viele Aufgaben geben, man darf ihn nicht vor zu hohe Anforderungen stellen.

Eine solche Anforderung kann sein, den Patienten aufzufordern, von sich selbst zu sprechen. Oft kann ein Depressiver dies nicht, gerade wenn er allzugern eine helfende Haltung einnimmt und seine eigenen Bedürfnisse hinten anstellt. Ein solcher Patient sagt dann vielleicht auch schnell: "Mir ist alles egal."

Es kann dann helfen, stellvertretend für den Patienten zu sprechen, also auszudrücken, was man glaubt, daß es der andere fühlt. Es kommt immer darauf an, den Patienten zu entlasten. Dazu muß der Therapeut vielleicht auch seine eigenen Bedürfnisse zunächst zurückstellen und darf nicht vom Patienten fordern, daß er die Lösung für seine Probleme selbst findet. Es kommt darauf an, die Not des Patienten zunächst zu lindern.

Man sollte den Patienten zu einer Sichtweise führen, die ihm erlaubt nicht nur zu geben, sondern auch zu nehmen. Dies sind Patienten, die entlastet werden müssen. Beispiel: Eine überarbeitete depressive Hausfrau, einer gewissenhafter Kaufmann und so weiter.

Patient, die überwiegend aus dem Kindheits-Ich heraus sprechen: Ansprüche am andere, die oft enttäuscht werden. Zu hohe Erwartungen an andere, Frustration, traurig, verzweifelt sein.

Bei einem solchen Patienten kann es helfen, ihn zu einer helfenden Haltung zu motivieren. Zudem muß man ihm klar machen, daß es notwendig sein kann, auf bestimmte Ansprüche zu verzichten, mehr zu geben, und dann wieder zu nehmen.

Es kommt also beidesmal darauf ein, den Patienten zu einem Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, zwischen Eltern-Ich und Kindheits-Ich, zu einem funktionierenden, vermittelnden Erwachsenen-Ich hinzuführen.

Immer ist auch wichtig, den Patienten zu ermutigen, seinen Aggressionen Ausdruck zu verleihen, aber auch hier ist wieder zu beachten, daß es für den Patienten unerträglich sein kann, Aggressionen gegenüber einem geliebten Objekt zuzulassen oder gar zu äußern. Dann kommt es darauf an, den Patienten möglicherweise zuerst aus der Symbiose mit dem Liebesobjekt herauszuführen.

Es muß dem Patienten allmählich klar werden können, daß er seine Symbiose nicht aufrechterhalten kann, daß keine Beziehung ständig Symbiose sein kann, daß jede Beziehung ein Wechselspiel zwischen einem beständigen Aufeinanderzugehen und Sich-wieder-voneinander-lösen bedeutet.

Das Annehmen der Trennung kann daher ein sehr wichtiges Erlebnis für den Patienten sein. Die Erfahrung zu machen, daß Nähe eine Bedingung ist, die nicht immer erfüllt werden kann, ist ein wesentlicher Schritt in der Therapie der Depression.

Jede Beziehung beeinhaltet beides: Nähe und Trennung! Man braucht sich nicht unnötig anzustrengen, um immerwährend Nähe zu erreichen. Die Nähe kommt nach einer Trennung von selbst wieder.

Ein "together forever" ist nicht möglich. Für den Depressiven ist die Erfahrung des Getrenntseins oft unerträglich, die Angst vor einer Trennung übergroß, der Gedanke, der andere bleibt nicht freiwillig, alles beherrschend.

Daher versuchen Depressive ihr Liebesobjekt oft mit Erpressung, das heißt psychischer Gewalt, an sich zu binden. Das Liebesobjekt fühlt sich unter Druck gesetzt und will dann auch der Situation entfliehen. Dadurch, daß der Depressive sein Liebesobjekt um alles in der Welt festhalten will, tritt genau das ein, wovor er sich am meisten fürchtet, nämlich daß das Liebesobjekt versuchen wird ihn zu verlassen; vielleicht nicht ein mal, weil es ihn nicht mag, sondern einfach, weil es den Druck nicht aushält.

Deshalb kann es gut sein, dem Depressiven am Ende der Therapie zu signalisieren: "Sie können auch noch mal wieder kommen - auch mal einfach so." Wird man bei einem Hysteriker den Kontakt mit dem Ende der Therapie wirklich zu beenden versuchen, so ist dies beim Depressiven mitunter nicht so sinnvoll. [Ich würde eigentlich jedem Patienten signalisieren wollen, daß er wiederkommen kann, wenn was ist, oder auch einfach mal so.]

Das Gefühl, nochmal wiederkommen zu können, hilft ihm und schürt nicht wieder eine vielleicht zum Teil noch vorhandene Angst vor einem Beziehungsabbruch. Nur wenn er weiß, daß er wieder kommen kann, kann der depressive Patient wirklich gehen. Er braucht dann auch nicht irgendwelche Symptome zu erfinden, wenn er den Therapeuten doch nochmal wiedersehen will.

Depression als Signaleffekt: Angst - Flucht, Schuldgefühl - habe ich etwas Falsches getan? Muß ich etwas wieder gut machen? Man fühlt, daß man etwas ändern muß, die Depression signalisiert einem genau dies.

Eine Depression kann auch signalisieren, eine Beziehung belastet zu sehr, ich muß sie vielleicht verändern oder gar beenden, oder das Alleinleben belastet zu sehr, ich muß mir einen Partner suchen.

Insofern kann es sinnvoll sein, die Depression als Signal zu begrüßen und sich zu fragen, was man selbst ändern muß, um aus der depressiven Stimmung wieder herauszukommen.

Versteckte Depression: Angepaßter Patient, ein Patient, der nie widerspricht oder widersprochen hat. Die Frage ist wichtig: Wagt der Patient, eine eigene Meinung zu haben und zu vertreten? Wie geht es dem Patienten beim Widersprechen? Das kann man den Patienten durchaus auch mal fragen, wenn die Situation dafür da ist.

Diskussion

Wie sicher ist die Diagnose der endogenen Depression? Ich bin mal so diagnostiziert worden und mit Neuroleptika (!) behandelt worden, bis ich den mich behandelnden Psychiater verließ, weil ich kein Vertrauen mehr zu ihm hatte. Danach fing ich in der sehr kritischen Situation vor der Abiturprüfung eine Psychotherapie, die entgegen der Befürchtung des Psychiaters, das könnte zuviel Unbewußtes, Verdrängtes wieder ans Licht bringen und daran scheitern, erfolgreich verlief.

Ich habe bis heute das Gefühl, daß die Diagnose der endogenen Depression bei mir völlig falsch war. Zunächst konnte ich der Argumentation des Psychiaters, es handele sich in meinem Fall um eine ererbte Stoffwechselstörung, die man medikamentös behandeln muß, wenig entgegensetzen. Mit der Zeit erkannte ich aber, daß der Psychiater ebensowenig beweiskräftige Argumente für seine Position hatte, und der Sachverhalt einer vererbten Stoffwechselstörung als Ursache, begünstigender Faktor einer Depression weder bewiesen noch unstrittig war.

Ich hatte das Gefühl, daß diese Diagnose vielmehr dazu diente, dem Psychiater das Leben leichter zu machen, er mußte weniger mit mehr reden und mir nur die Medikamente verordnen und konnte sich so zunächst meine Abhängigkeit von ihm, eine vorzügliche Einnahmequelle, sichern.

Eine Psychiaterin, die mich später nochmal untersuchte, um dann eine Therapie an die Psychotherapeutin, die mich dann behandelte, zu delegieren, konnte nicht verstehen, warum man mir Psychopharmaka verordnet hatte und warum gerade Neuroleptika und noch dazu welche mit einer ziemlich starken Wirkung. Sie wunderte sich auch, warum mir von dem Psychiater nie eine Therapie vorgeschlagen wurde und warum mir gar davon abgeraten wurde.

Ich stellte diese Frage nach der Sicherheit der Diagnose endogene Depression in der Vorlesung ein wenig anders, um mich selbst nicht bloßzustellen. Ich sagte, einer meiner Freunde hätte dies alles erlebt und stellte die Frage vor diesem Hintergrund. Es waren in der Vorlesung zu viele Menschen, die ich nicht richtig kannte, als daß ich mich offen dazu hätte bekennen können.

Frau Rhode-Dachser darauf: Eine endogene Depression ist nie nur mit Medikamenten zu behandeln und eine neurotische Depression kann in einem akuten Stadium mitunter auch mal eine temporäre medikamentöse Behandlung benötigen. Zudem ist die Diagnose endogene Depression nicht ganz eindeutig, und die Übergänge zur neurotischen Depression sind zum Teil fließend.

Nicht zuletzt greifen "reine" Psychiater (natürlich) eher zum Rezeptblock, als psychoanalytisch vorgebildete Psychiater.

Eine weitere Frage: Wann muß man einen suizidgefährdeten Patienten einweisen? Wichtig dabei ist, einen Nervenarzt hinzuzuziehen, um sich selbst abzusichern und die Entscheidung letztendlich dem Nervenarzt zu überlassen. Dies ist nicht rechtlich vorgeschrieben, aber doch sinnvoll, allein schon, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. [Kann ein Nervenarzt das wirklich in jedem Fall besser entscheiden?]

Depressivsein ist in unserer Gesellschaft ein Stück weit akzeptiert. Gibt es Menschen, die eine Depression nur vortäuschen, nur simulieren, um sich Vorteile zu sichern? Aber: Kann jemand eine Depression wirklich auch lange Zeit heucheln? Frau Rhode-Dachser hält dies für unwahrscheinlich.

Dennoch ist es für einen Depressiven schon typisch, andere mit dem eigenen Leiden unter Druck zu setzen. Das ist ein sekundärer Krankheitsgewinn. Aber ein Depressiver macht dies nicht einfach aus der rationalen Überlegung heraus, das könnte mir Vorteile bringen, sondern aus einem echten inneren Leidensdruck.

Diese Methode verwenden oft auch Angstneurotiker und speziell auch Herzneurotiker: "Wenn Du nicht tust, was ich Dir sage, dann bleibt mein Herz stehen!" Der Depressive würde vielleicht eher sagen: "Wenn Du nicht bei mir bleibst, bringe ich mich selbst um!"

Warum führt nun aber die Angewiesenheit auf eine symbiotische Beziehung, bei dem einem eher zur Depression und bei einem anderen eher zu einer Angstneurose? [Ist Symbiose immer nur ein Begriff für eine klebende, aneinanderkettende Beziehung? Übersetzt bedeutet Symbiose doch eigentlich zunächst nur ein Zusammenleben.]

Kein Mensch kann auf Dauer eine diffuse Angst aushalten, von der er nicht weiß, woher sie kommt, deshalb richtet er seine Angst oft auf bestimmte Objekte: Angst vor großen Plätzen. So geht eine Angstneurose auch oft in eine Phobie über. Der Versuch der Angst einem Namen, ein Objekt zu geben, ist ein Versuch, dem unerträglichen Zustand zu entfliehen, Angst zu haben, von der man nicht weiß, was sie verursacht, denn diese namenlose Angst ist die unerträglichste, quälendste Angst.

Wo Angst zur Todesangst wird spielt meist auch die Angst vor dem Selbstzerfall eine Rolle. [Selbstzerfall bedeutet für viele ja wohl auch so etwas Ähnliches wie Tod.]

Angstneurotiker und Depressive haben gemeinsam dem Wunsch, eine enge Objektbeziehung aufrechtzuerhalten. Aber bei der Depression treten Selbstvorwürfe und Schuldgefühle in den Vordergrund, wie sie bei einer Angstneurose eigentlich nicht, oder zumindest nicht in dieser ausgeprägten Form vorkommen.

Man braucht sich keine Vorwürfe zu machen wegen seiner Angst. Das Gefühl, wenn mich das Objekt verläßt, halbiert es mich, steht stark im Vordergrund.

Während es bei der Depression meist um den tatsächlichen oder den imaginierten Verlust eines geliebten Objektes und die damit verbundene Verlassenheit und die Frage, wer ist dran Schuld, daß mich keiner liebt, geht, befürchtet der Angstneurotiker eher, ein ihn vor Gefahren beschützendes Objekt zu verlieren. Die Frage nach existenziellem Schutz spielt für den Angstneurotiker eine besondere Rolle, denn dies ist sein Bedürfnis, das er nicht ausreichend befriedigt sieht.

Die Herzneurose

Angst vor Anfällen, Angst davor, daß das Herz plötzlich stehen bleibt, Erwartungsangst, der Anfall könne dann und dann kommen.

Symptome dieser Angst: Herzklopfen, Atembeschwerden, Schwindel, sexuelle Störungen, Magen-Darm-Beschwerden. Wichtig ist, daß die Herzneurose nachgewiesenermaßen nicht erblich ist.

Oft erfolgt jedoch eine Weitergabe durch Lernen. Ein Kind lernt schnell, eine Herzneurose zumDurchsetzen der eigenen Interessen einzusetzen, wenn es dieses Verhalten auch bei einem Elternteil erlebt: Wenn Du jetzt nicht tust, was ich Dir sage, dann bleibt mein Herz stehen.

Das schützende Objekt war in der eigenen Kindheit unzuverlässig. Das Herz kann hier das Symbol für Liebe, auch aber das für Verläßlichkeit sein: "Mein Herz ist unzuverlässig."

Um die Herzneurose zu verstehen, kann man anstelle des Herzens auch ein Objekt, ein beschützendes Objekt setzen: "Ich muß mein Herz schonen." wird dann zum Beispiel schnell zu, "Ich muß meine Mutter schonen, damit sie bei mir bleibt."

Die Herzneurose ist also oft eine Auseinandersetzung mit einem internalisierten Objekt, ohne das man sich nicht beschützt fühlt. Es gibt zwei Typen von Herzneurosen:

Typ A: Ängstlicher Mensch, einen Dritten herbeirufen (Arzt)

Typ B: Mir kann nichts passieren, ich bin unabhängig

Ein Herzneurotiker braucht Beruhigung, Versicherung von außen. Patienten des Typs A sollte man erlauben, regelmäßig den Arzt aufzusuchen. Es ist wichtig, sich von der Krankheitsfurcht nicht anstecken zu lassen. Wenn einem Arzt das passiert, behandelt er den Patienten dann vielleicht tatsächlich als Patienten mit einer organischen Herzerkrankung. Der Einsatz von Beruhigungsmedikamenten kann sinnvoll sein. [Aber doch wohl nur für eine kurze Zeit!]

Patienten des Typs B kann man Beruhigungsmedikamente mitgeben und ihm freistellen, ob er sie in einer Angstsituation nimmt oder nicht. Das läßt ihm seine Unabhängigkeit. [Naja, gibts da keine anderen Möglichkeiten??]

Karl König: Dem angstneurotischen Patienten Symbol für das schützende Objekt geben, das kann der Therapeut sein oder ein Beruhigungsmedikament. Wichtig ist für den Patienten, dieses Symbol zu internalisieren, um dann auch ohne es auszukommen.

26. Januar 1995

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung

Trennung zwischen Neurose und Borderline-Störung didaktischer Natur, fließende Übergänge. Neurose: Alle Instanzen sind voll entwickelt. Das Ich ist nach verbreiteter Auffassung voll entwickelt ab dem 3. Lebensjahr, dann, wenn das Kind in der Lage ist, zu verdrängen. Strukturelle Betrachtung. Triebtheorie Freuds.

Ich-Störung: Das Ich ist noch nicht voll ausgebildet, Betrachtung der frühen Objektbeziehungen. Objektbeziehungstheorie.

Verzerrung der Entwicklung, die in den ersten Lebensjahren anfängt. Der Anfang ist, so Otto F. Kernberg, die frühe Kindheit. Tiefgreifende Störung, die sich nicht, wie bei den meisten Neurosen auf einen Konflikt beschränkt. Persönlichkeitsstörung, Ich-Störung.

Symptome: Störung der Persönlichkeitsstruktur, der borderline personality organisation. Da man diese Persönlichkeitsstruktur nicht direkt beobachten kann, wird die Diagnose oft schwierig, da man indirekt schlußfolgern muß. Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist ein Grenzzustand zwischen Neurose und Psychose. Sie ist mehr als eine Neurose, aber weniger als eine Psychose. Bei der Psychose ist die Realitätsprüfung völlig außer Kraft. Bei der Borderline-Störung kann diese nur für die kurze Zeit einer eingebetteten Mini-Psychose außer Kraft sein.

Noch etwas zu den Symptomen und der Diagnose: Voraussetzung ist, daß der Patient keine stabile Abwehr mehr hat, die durch Ausbildung eines Symptoms aufrechterhalten werden könnte. Deshalb auch die Bedingung, daß mindestens drei Symptome vorliegen. Erst dann hat man einen Verdacht auf eine Borderline-Störung. Es sind mehrere fluktuierende Symptome nötig, da die Grenze zwischen Es und Ich nicht mehr stabil ist (siehe Bild).

Nun zu den einzelnen Symptomen:

Zu 3, Hypochondrie: Sie dient dazu, die frei flottierende Angst aus 1 zu binden.

Zu 4: Wichtig ist, daß es sich hier nicht um einen dauerhaften Wahn handelt.

Zu 5, ausgestanzte Wahnvorstellung: Auch hierbei handelt es sich nur um kurze wahnhafte Zustände. Der Borderline-Patient organisiert das Leben nicht um den Wahn herum, wie es der Psychotiker tut. Die Wahnvorstellungen sind noch mit Zweifeln besetzt, der Patient ist nicht ganz sicher, ob die Wahnvorstellungen tatsächlich stimmen.

Zu 7, Dissoziation: Zwischen sich und der Realität eine Grenze ziehen, um die Abwehr zu erhalten, ich bin drinnen, die Realität ist draußen. Sich selbst beobachten, in Situationen, wo die übliche Abwehr nicht mehr ausreicht. Geht über in

8, Depersonalisation und Derealisation: Ich kann mich nicht fühlen, ich habe keine Gefühle, ich schaue auf mich, bin aber nicht ich selbst. Oder ich kann die Realität nicht wahrnehmen.

Zu 9, Veränderung des Körperschemas: Bestimmte Körperteile werden größer oder sind plötzlich nicht mehr da. Sowas passiert auch dem "Gesunden" beim Einschlafen ab und zu.

Zu 10, Depression: Die Wut steht im Vordergrund, die Depression ist mehr nach außen, weniger gegen den Patienten selbst gerichtet. Keine stabile Grenze zwischen außen und innen.

Zu 11, polymorph-perverse Sexualität: Zumindest eine Sexualität, die nicht reibungslos läuft. Eventuell mit Promiskuität, also häufigem Partnerwechsel. [Was für ein Kriterium!!! Was hat die Psychoanalyse eigentlich gegen Promiskuität oder Polygamie??? Warum soll so etwas nicht möglich sein und funktionieren können? Ist das der Einfluß der Sitten, Normen, der Kultur auf die Psychoanalyse???]

Zu 15, kindliche Gespensterängste: In der Kindheit läuft Abwehr oft über solche Gespensterängste. Auf diese Weise versucht das Kind nicht ichkompatible Vorstellungen auszugrenzen. Zum Beispiel: Etwas gefährliches ist im Zimmer, der Tod steht vor der Tür.

Zu 16, körperliche Selbstverletzung: Beispiel dafür, sich in den Arm schneiden. Sich lebendig fühlen, bluten, sich selber bestrafen.

Zusammenfassung: Charakteristisch für eine Borderline-Störung sind die charakteristische Schwäche der Abwehr, einen bestimmten Objektbeziehungsmodus, die Spaltung und das Auftreten von Mini-Psychosen.

Jetzt nochmal einiges zu den Abwehrmechanismen (siehe Bild):

Zu 2, der Projektion: nicht-ichkompatible Elemente werden nach draußen projiziert, zum Beispiel: Jemand fühlt sich zur Prostitution, wehrt dies ab und wertet die Prostitution daher ab.

Die Grenze zwischen außen und innen muß immer stabil sein, sonst ist das Draußen zu nahe und bewegt sich wieder auf das Innen zu, projektive Identifizierung, der Feind als Verfolger.

Zu 4, Verleugnung: Bestimmte eigentlich deutlich erkennbare Folgen von Handlungen nicht mehr sehen (wollen).

Zu 5, Omnipotenz und Entwertung: Ich bin alles und die anderen sind nichts. Man braucht Menschen nicht mehr zu hassen, wenn man sie entwertet.

Zu 6, Verdecken: Ein Gefühl wird durch ein anderes Gefühl überdeckt. Zum Beispiel die Angst wird durch die Leere ersetzt. Nun geht es darum, das Gefühl der Leere auf jeden Fall aufrechtzuerhalten, damit das ursprüngliche Gefühl, das dahintersteckt und quälender ist, nicht zum Vorschein kommt.

Zu 7, Externalisierung: Sich mit äußeren Strukturen einrichten und sich auf sie verlassen. Solange diese äußeren Strukturen da sind, verhält sich derjenige unauffällig. Wenn sie aber wegfallen, bricht die Abwehr zusammen. Äußere Strukturen können eine Partnerbeziehung oder zum Beispiel auch die Bundeswehr sein. Wenn jemand, der gerade aus der mitunter stark durchstrukturierten Bundeswehr kommt, anfängt zu studieren, kann es Probleme geben.

Zu 8, Ich-Regression: Bei "Gesunden" und Neurotikern steht die Regression im Dienste des Ich. Das Ich wächst an der Rückkehr zu kindlichen Erlebnissen und kann dann aus der Regression wieder zurückkehren. Wichtige Ich-Funktionen bleiben während der Regression erhalten.

Beim Borderline-Patienten gehen bei der Ich-Regression wichtige Funktionen verloren, so daß das Ich bedroht ist. Es hat dann oft über die Situation keine Kontrolle mehr.

Ein psychotisches Ausklinken in Form einer Mini-Psychose oder ein Gedankenriß mitten im Satz können Symptome dafür sein. Der Gedankenriß - jemand bleibt mitten im Satz stehen und redet dann über etwas ganz anderes - kann aber auch konfliktbezogen auftreten und ist daher nicht gleich ein sicheres Anzeichen für eine Borderline-Störung. Genauso wie viele andere Symptome auch nur den Verdacht auf eine Borderline-Störung rechtfertigen können.

Therapie: Man muß die Frage klären, wie weit der Patient gefahrlos regredieren kann. Ein psychotisches Ausklinken, bei dem der Patient dann mitunter den Therapeuten als Verfolger sieht, kann eine Therapie schwer belasten. Eine Psychoanalyse kann dann mitunter die unpassende Therapieform sein. Den Patienten auf die Couch legen, bedeutet dann, ihm zu wenig feste Strukturen zur Verfügung zu stellen. Eine Psychotherapie ist dann möglicherweise eher angezeigt.

Objektbeziehungen: Grundmuster affektlogischer Bezugssysteme

Neben der charakteristischen Schwäche der Abwehr, herrscht befinden sich Borderline-Patienten oft in einem bestimmten Objektbeziehungsmodus, indem die Spaltung vorherrscht. Auf diesen soll nun näher eingegangen werden.

Bei einem "normalen" Beziehungsmuster werden äußere Objekte beziehungsweise Erfahrungen mit diesen, die Objektrepräsentanz, in die innere Selbststruktur, die Selbstrepräsentanz aufgenommen. Dabei verbindet sie ein gemeinsamer Affekt. Dazu ein zwei Beispiele:

Eine Mutter beim Stillen wird als liebevoll sättigendes Objekt wahrgenommen. Das angenehme, freudige Gefühl, das Vertrauen, das beim Saugen entsteht stärkt die Bindung zwischen Mutter und Kind. Das Kind fühlt sich selbst angenommen und repräsentiert, wiedergespiegelt.

Schimpft nun aber eine Mutter mit dem Kind, vielleicht, weil es nachts weint, dann empfindet das Kind Wut, Zorn und die Mutter wird eventuell als Hexe wahrgenommen. Das Kind fühlt sich nicht angenommen, nicht wiedergespiegelt. Sein Selbstwertgefühl sinkt. Das kann soweit gehen, daß es sich als ein vernichtetes Selbst wahrnimmt und begreift.

Kommt es nun zu einer Spaltung, so kann es die Person anders sehen als sie ist; und zwar, indem es alles Gute und alles Böse von der Mutter getrennt sieht. So kann es sich die gute Mutter zumindest zeitweise erhalten.

Das Gute und das Böse wird abwechselnd erlebt. Das gute Objekt muß auf jeden Fall erhalten bleiben. Das Kind hat die ständige Angst, die böse Fee könnte die gute töten. Das versucht es zu verhindern, indem es die böse Fee von der guten fernhält.

Nur wenn das Gute und das Böse nicht zusammenkommen können, kann das Gute vielleicht überleben. Ansonsten besteht die Gefahr, daß das Böse das Gute besiegt, überwältigt und vernichtet.

Das sieht man dann auch an Träumen von Borderline-Patienten. Es geht oft um Ereignisse in verschiedenen Zimmern, die keine Verbindung zueinander zu haben scheinen. Oft spielt die Angst, es könnte doch einen geheimen Weg von dem einen in das andere Zimmer geben, eine entscheidende Rolle.

Ein Beispiel für einen solchen Traum: Jemand träumt von einem Typ mit Flammenwerfer, der in einen abgeschlossenen Raum alles verwüstet. Oder eine Straße ist durch eine Linie in zwei Hälften getrennt und niemand darf diese Linie überschreiten oder überfahren. Oder einen Traum mit Gefängniszellen und den Wänden dazwischen.

2. Februar 1995

Die Borderline-Störung ist ein Grenzzustand zwischen einer Neurose und einer Psychose oder Schizophrenie.

Nun zu einigen der Symptome noch etwas:

Zu 3, Affektive Instabilität: Neigung zu Angst und Depressionen, scheinbar grundlos, maximal einige Tage lang.

Zu 4, Ärger/Wut: Aus dem Englischen von "anger", Wutausbrüche, chronische Reizbarkeit.

Zu 5, Selbstschädigung: Die Selbstverstümmelung gilt als ein sicheres Anzeichen für eine Borderline-Störung. Es geht dabei darum, sich selbst zu spüren, zu bluten, wahrzunehmen, daß man selbst da ist. Bei Suiziddrohungen kann es darum gehen, einen anderen mit Gewalt binden zu wollen.

Zu 6, Identitätskrise: Zum Beispiel in den Bereichen sexueller Orientierung, Berufspläne, Lebensziel oder persönliche Werte. Es fällt Menschen mit Identitätskrise meist schwer, auf die Frage "Wer bin ich?" zu antworten.

Zu 7, Leere, Langeweile: Sich nicht freuen können, englisch "unhedony".

Zu 8, Angst vor Alleinsein: Hierbei kann es sich um um ein imaginiertes oder ein tatsächliches Alleinsein handeln.

Die Diagnose der Borderline-Störung setzt eine entwickelte Persönlichkeit voraus. Deshalb wird sie bei Kindern und Jugendlichen meist nicht gestellt. Anpassungsschwierigkeiten und Adoleszenzkrisen sehen vielleicht auf den ersten Blick wie eine Borderline-Störung aus, auch wenn sie keine darstellen.

Vorkommen der Borderline-Störung: Häufiger bei Frauen (DSM III-R), 75% der Borderline-Patienten sind Frauen (DSM-IV). In den USA: 2-4% der Bevölkerung, 2/3 weiblich (1987).

Warum bei Frauen häufiger? Handelt es sich bei den Lebensläufen von Borderline-Patienten eher um typisch weibliche Schicksale? Inzest?

Dramatische Erfahrungen in der Kindheit, Verlassenheitserfahrungen, keine stabile tragfähige Objektbeziehung, massiver physischer (und auch psychischer) Mißbrauch können Faktoren sein, die eine Borderline-Störung begünstigen. Sind darunter Erfahrungen, die Frauen eher machen (müssen)? Zum Beispiel die des massiven Mißbrauchs?

Die Unfähigkeit, Ärger und Wut nicht rauslassen, nicht zeigen zu können, die Ersatzstrategie, ihn in sich hinein, gegen sich zu wenden, sind das Konfliktlösungstrategien, die eher den jungen Mädchen ansozialisiert werden?

Sitzen männliche Borderline-Patienten eher im Gefängnis und werden dort nie als solche diagnostiziert? Ist ein männlicher Borderline-Patient eher eine antisoziale Persönlichkeit?

Es scheint nahezuliegen, daß in der Borderline-Diagnose Persönlichkeitszüge eine Rolle spielen, die man gerade Frauen nicht zubilligt. Sind vorgeformte Meinungen über die Geschlechter in diese Diagnose eingegangen? Etwa wie bei der Diagnose Hysterie?

Reicht das als Erklärung aus? Es gibt noch einen anderen Erklärungsansatz der darauf beruht, daß Mädchen im Durchschnitt 2-3 mal häufiger die Erfahrung des Inzest erleiden als Jungen. Ein Inzest vom Vater aus kann als signifikant für eine Borderline-Störung gelten. Mehrere Untersuchungen zeigen die Unabhängigkeit dieser Forschungsergebnisse von der Modeerscheinung, daß mehr und mehr über Inzest geschrieben und gesprochen wird.

Oft wird die Erfahrung von Mißbrauch in die Persönlichkeit integriert, vergessen, verdrängt, oder auch isoliert. Deshalb ist die Geschichte von Traumaopfern nur schwer zu erschließen.

Alle mögliche Arten von Traumen können zur Borderline-Störung führen. Entscheidend ist dabei, daß ein Trauma unausweichlich ist, daß die Bedrohung real ist.

Oft werden Fragmente des Traumas transformiert oder verkleidet in Körpersensationen, Gefühlszustände, Bilder. Sie werden dissoziiert. Nach Ergebnissen posttraumatischer Streßforschung kann davon ausgegangen werden, daß Trauma und Dissoziation sehr stark gekoppelt sind.

Dabei kann man die Borderline-Störung vielleicht etwa zwischen einer multiplen Persönlichkeitsstörung und einer dissoziativen Neurose ansiedeln. Sie ist mehr als eine dissoziate Neurose, aber weniger als eine multiple Persönlichkeitsstörung.

Wichtig ist die Frage: Wie war diese Erfahrung des Traumas, wie wurde sie verarbeitet? Oft hat die Störung in den ersten Lebensjahren angefangen, die Borderline-Störung kann aber auch später anfangen. Die Mutter-Kind-Beziehung und die Vater-Kind-Beziehung, mit der Möglichkeit eines Inzest, spielt dabei eine sehr große Rolle.

Es kann zum Beispiel ein Inzest seitens des Vaters vorkommen, bei dem die Mutter nur hilflos zuschaut und sich nicht als ein schützendes, bergendes Objekt zeigt. Oft läßt das Auftreten eines Inzest auf eine gestörte Struktur innerhalb der Familie schließen.

Oft erfolgt die Spaltung der Erfahrung in angenehme und unangenehme Erinnerungen, damit man die schlechten Erfahrungen ausgrenzen kann. Gutes und Böses kann nicht zusammen existieren, weil sonst die Gefahr besteht, daß das Böse das Gute verschlingt.

Diese Sicht der Welt ist von der Geburt an bis zum dritten Lebensjahr üblich. Zumindest sagte dies die Forschung, bei der man bisher oft vom Erwachsenen auf das Kind, vor allem auf den Säugling schloß, weil es erst seit kürzerem genaue Methoden zur Erforschung der Erlebniswelt des Säuglings gibt.

Die neuere Säuglingsforschung jedoch zweifelt dies an und geht von einer differenzierteren, realistischeren Betrachtung der Welt auch im frühesten Kindesalter, im Säuglingsalter aus.

Dennoch dient die Spaltung oft als Abwehrmechanismus, um sich die Realität vom Leibe zu halten.

Der Mensch hat ein Leben lang die Möglichkeit, dramatische Erfahrungen, denen man nicht entrinnen kann auf bestimmte Weise zu verarbeiten. Die Borderline-Störung gehört zu diesen Möglichkeiten.

Ist die Psychoanalyse nur auf die Phantasien der Patienten fixiert? Was ist das reale Trauma? Nein, eine gute Psychoanalyse berücksichtigt beides. Das real stattgefundene Trauma und die damit verbundenen Phantasien und Träume.

Die Psychoanalyse ist immer retrospektiv, nie vorausschauend. Deshalb kann sie auch nicht sagen, ob jemand der ein Trauma erleidet, der zum Beispiel geschlagen wird, dann auch wirklich eine Borderline-Störung entwickeln wird. Dann läßt sich immer erst feststellen, wenn die Störung da ist.

9. Februar 1994

Über die posttraumatische Erfahrung

Posttraumatische Erfahrungen nach KZ, Folter, Gefangenschaft, sexuellen und, oder physischen Mißbrauch. Das Kind, der Mensch kann dem Trauma nicht entrinnen.

Besonders das kleine Kind kann dem nichts entgegensetzen, außer ein noch unausgereiftes Abwehrsystem. Diese frühe Abwehr kann in die Identität des Kindes eingehen.

Totalitäre Macht, pedantische Regeln, unerwartete Belohnung, Ausschaltung aller konkurrierenden Beziehungen durch Betrug, all das und mehr kann dazu führen, daß das Kind eine massive Bindung zum Täter entwickelt. Gerade wenn niemand es rettet und beschützt. (Leider allzu häufig auftretendes) Beispiel dafür: Wenn ein Vater seine Tochter (sexuell) mißbraucht, schlägt, und die Mutter ihre Tochter nicht rettet, nur zuschaut, es geschehen läßt.

Oft hat die Mutter in ihrer Kindheit ähnliche Erfahrungen machen müssen. Oder sie will die Familie nicht gefährden. Oft kann die Mutter nichts gegen den Mißbrauch unternehmen, oder traut sich das (aus gutem Grund) nicht. So bleibt die Anzeige des Mißbrauchs häufig aus. Die Mutter übersieht den Mißbrauch.

Das Kind erleidet den Mißbrauch und tut gleichzeitig so, als ob er nicht geschehen wäre. Es spaltet die Welt, damit es eine Welt gibt, in der der Vater noch gut sein kann. Es entwickelt ein Doppeldenken, das daraus besteht, den Mißbrauch zu sehen und zu erdulden und ihn zu verleugnen.

Warum leugnet das Kind den Mißbrauch, warum tut es so, als wäre er nie geschehen? Es macht dies, um sich die für es lebenswichtige Bindung zu den Eltern zu erhalten. Der Täter wird idealisiert, das jeweils andere Elternteil dann meist verachtet.

Wenn keiner hilft, wenn es keine rettende Person gibt, dann ist das Kind dem Täter total ausgeliefert. Es entwickelt (unfreiwillig) eine Bindung zum Täter, eine Abhängigkeit von ihm. [Ebenso wie wohl der Täter auf gewisse Weise von seinem Opfer abhängig ist.] Es gibt nur zwei Personen, den Täter und das Opfer. Und es gibt beim Opfer die internalisierte Vorstellung, der Täter sei allmächtig.

Das Kind denkt, seine Reaktion beeinflußt den Täter. Es wendet sein magisches Denken an. Es sagt sich immer wieder: Ich bin ein gutes Kind, ich bin ein gutes Kind, ein gutes Kind darf man nicht mißhandeln.

Oft sieht es die Mißhandlung als Strafe dafür, daß es sich nicht so verhalten hat, wie es denkt, daß der Täter es von ihm erwarte, und fragt sich, was es falsch gemacht hat. Es macht sich für den Mißbrauch verantwortlich.

Es gibt für das Kind keine inneren Strukturen, die ihm helfen können, sich wenigstens einen Retter vorstellen zu können. Deshalb versucht es sich selbst zu retten, es entwickelt magische Verknüpfungen in seiner Vorstellung: Wenn ich ein gutes Kind bin, dann passiert mir nichts.

Und dann sagt es sich: Ich will ein gutes Kind sein. Und es merkt, daß auch dies nichts ändert. Es versucht Angst zu vermeiden, es flieht vor der Frage: Liebt mich mein Vater, der Täter noch? Zwei Gefühle gegenüber dem Vater stehen in Widerstreit: Ich hasse ihn, ich hasse ihn nicht, ich liebe ihn, damit er mich liebt.

Die Abwehr des Kindes befindet sich in einem Zustand erstarrter Wachsamkeit. Dauernd wachsam sein, immer darauf achten, was gerade im Täter passiert. Das Opfer kennt den Täter in- und auswendig. Jetzt poltert er wieder, gleich belohnt er mich, jetzt schlägt er mich gleich.

Um sich die Illusion einer intakten Familie zu bewahren, dissoziiert das Kind, stanzt den Mißbrauch aus, trennt ihn von der guten Welt. Ausgestanzte Träume, mit dem es ihm Wachbewußtsein noch weniger anzufangen weiß als mit allen anderen Träumen, können die Folge sein. Es Kind spaltet die Welt und mitunter auch sich selbst, in einen Teil, wo es den Mißbrauch nicht gibt, in eine heile Welt, ein heiles Selbst, und in einen Teil, wo der Mißbrauch stattgefunden hat, eine böse Welt, ein angegriffenes, mißachtetes, mißhandeltes Selbst.

Durch Dissoziation, durch Spaltung, und das kann bis zur Persönlichkeitsspaltung gehen, versucht das Kind dem Trauma Herr zu werden. Es lernt, den Schmerz zu ignorieren, den physischen wie den psychischen, Raum und Zeit zu verändern, zu "vergessen" (Amnesien), sich in Versenkung zu begeben, zu halluzinieren, um dem Geschehen beziehungsweise dem Geschehenen zu entkommen.

Die äußere Welt ist für das Kind unerträglich, es flüchtet in eine Phantasiewelt, geprägt von Spaltung von Objektbeziehungen, Doppeldenken, Dissoziation. Das kann soweit gehen, daß das Kind eine multiple Persönlichkeit entwickelt, Persönlichkeitsfragmente voneinander isoliert.

Das doppelte System, ein Begriff den Judith Lewis Herman prägte, bedeutet: Ein System konstruieren, daß die Tat rechtfertigt. Zum Beispiel: Wenn das Kind böse ist, dann können die Eltern gut sein. Ein gutes Kind bestrafen gute Eltern nicht, ein böses Kind vielleicht schon eher. [Eltern sollten niemals strafen, das ist zumindest meine Ansicht.]

Der Vater ist schuld, ich hasse ihn, sowas geht nicht, wenn die dritte Instanz, die des Retters fehlt. Dann ist das Kind abhängig vom Vater, vom Täter [kann auch eine Frau sein, kommt aber wohl viel seltener vor]. Daher muß das Opfer sich selbst die Schuld zuordnen, damit der Täter unschuldig bleiben kann.

Vorstellung von Vergewaltigungsopfern, bei ihnen selbst und auch in der Öffentlichkeit: Ich habe es verdient, gerade mir mußte es geschehen. Es mußte ja so kommen, ich habe es immer geahnt, diese Frau wollte es ja nicht anders.

Frauen, die in der frühen Kindheit chronisch sexuell mißbraucht wurden, sind später im Durchschnitt dreimal so häufig Vergewaltigungsopfer wie nicht mißbrauchte Frauen: Unbewußt dieselbe Situation aufsuchen, in der Hoffnung, daß das Trauma diesmal ausbleibt.

Zwang zur Wiederholung: Wer ist schuld? Wie konnten Sie sich nur so anziehen? als Frage einer Therapeutin eines Vergewaltigungsopfers, das wieder vergewaltigt wurde. Dadurch kann die Ansicht des Opfers, ich bin schuld, es passiert immer wieder und wieder, verstärkt, bestätigt oder vielleicht gar erst geschaffen werden.

Es geht auch immer wieder darum, dem Verhalten des Täters einen Sinn zu geben. In der Vorstellung des mißbrauchten Kindes ist es selbst oft der Anstifter zum Mißbrauch. Widerholungszwänge: Vorstellung böse zu sein, schuld zu sein. Massive Selbstanschuldigungen im Kern böse zu sein. Ich bin Opfer, ich bin böse. Ich habe Hoffnung zu entkommen.

Identitätsstörung, sich selbst nicht kohärent definieren können. Keine Integration der Identität. Idealisierter Täter - Person des Schreckens. Umkippen einer Beziehungsrepräsentanz. Spaltung - chronische Übererregung - Spaltung.

Weitere Symptome beim Opfer: Elementares Gefühl des Unwohlseins. Wut, Verzweiflung, Disphorie - sich nicht freuen können, Vernichtungsangst, ich verschwinde, ich bin weg, ich existiere nicht mehr. Selbstverstümmelung, sich selbst körperlichen Schmerz zufügen, um sich zu spüren, ich bin da. Oder sich selbst körperlichen Schmerz zufügen, um den primären, den seelischen, den chronischen Schmerz zu übertönen, überdecken.

Spaltung der Selbstidentität, der Objektbeziehungen, innerer Drang, die Vergewaltigungsszene wieder aufleben zu lassen. Neigung zu intensiven, instabilen Beziehungen, nicht alleine existieren können. Drama von Rettung, Unrecht und Verrat inszenieren und immer wiederholen, um zu zeigen, schaut, daß ist mir passiert, ich kann nicht drüber reden, aber schaut doch...

Therapeut: Enthaltsamkeit aufrechterhalten kann zu Beziehungsabbruch führen, kann als Verrat verstanden werden.

Inzestprofil bei Patientinnen bei Patientinnen, die den Inzest nicht berichten, erzählen können, ihn "vergessen", ihn verdrängen (Stone): Verführerisches Auftreten, Impulsivität, Scheu, Verschwiegenheit, Selbstverstümmelung, zerstörende Wut, Gefühle wie Scham, Rache, Mißbraucht worden zu sein, instabile Beziehungsgestaltung. In dem Gefühl der Rache kommt manchmal auch der (internalisierte) Täter zum Vorschein.

Beziehungserfahrung die jemand als Kind macht. Selbst - verbindender Affekt - Objekt - internalisieren, integrieren, um später darauf zurückgreifen zu können, um sich die Realität zu strukturieren, um das Internalisierte später nach Bedarf wieder nach außen zu kehren, Äußeres mit dem Internalisierten zu vergleichen.

Mädchen - Inzest - Tätervater. Der Täter wird mit internalisiert, auch bei KZ-Opfern oder Folteropfern. Aber das Opfer identifiziert sich nicht mit dem Täter. Der Täter bleibt Introjekt, Fremdkörper im Inneren, die Tat introjezierte Episode.

Stimme des Täters - Du darfst Dich nicht freuen! Zerstören, kaputtmachen, Bindung, von der sich die Opfer, die Patienten lösen wollen. Ein Kind fühlt sich für den Vater verantwortlich, auch wenn er sein Kind traumatisiert, mißhandelt.

Die Borderline-Störung ist der posttraumatischen Störung sehr ähnlich. Wobei man zunächst immer davon ausgehen muß, daß das Trauma, von dem die Patientin, der Patient erzählt, ein reales Trauma ist!!

Gefühle bei Selbstverletzung: Wut, Genugtuung, sich selbst etwas antun können [nicht nur der Täter kann mir etwas antun], Schuldgefühle, ich hätte etwas dagegen tuen müssen, ich bin schuld, weil ich mich nicht gewehrt habe [ein Gedanke, der wohl gerade bei Vergewaltigungsopfern sehr häufig vorkommt], dafür, daß ich mich nicht gewehrt habe, muß ich jetzt bluten, ich muß bluten, ich muß leiden, weil ich schuld bin.

Oft können Traumaopfer das Alleinsein nicht ertragen. Alte Gefühle kommen wieder hoch und zwar besonders dann, wenn man allein ist. Das Gefühl des Grauens und der Selbstauflösung droht mich zu vernichten. Wenn ich alleine bin, bin ich diesem Gefühl besonders hilflos ausgeliefert. Dann kann mich kein Retter erlösen und befreien.

Selbstbeschädigung als Rettung gegen (namenlose) Depressionen, Selbstbeschädigung als Antidepressivum.

Die Therapie und die Rolle der Phantasien der PatientInnen dabei - Der Zusammenhang von Trauma und Phantasie

Trauma als Auslöser von Erfahrungen. Frage: Ist das Trauma real oder phantasiert? Diese Frage ist gar nicht mal so wichtig. Entscheidender ist die Frage, wie der Patient dieses Trauma, mag es nun real oder eingebildet sein, verarbeitet.

Und um den Patienten dabei zu helfen, sein Trauma durchzuarbeiten, ist es sehr wichtig, den Patienten mit seinem Trauma ernstzunehmen. Zudem wird wohl kaum ein Erwachsener ein Trauma schildern, daß er nicht erlebt hat. Und schon gar nicht die Symptome dazu simulieren. Und ein Kind auch nicht.

Die Therapie besteht nun zunächst mal darin, sich das Trauma schildern zu lassen. Und dabei ist es wichtig, Folgendes zu beachten: Man kann den Patienten nicht behandeln, wenn man vor der Schilderung seines Traumas mehr Angst hat als der Patient mehr.

Wichtig ist auch zu berücksichtigen, welche Möglichkeiten der Patient bisher hatte, um das Trauma zu verarbeiten. Konnte er das Trauma durcharbeiten? Wenn ja, wie? Was fehlte ihm bisher an Möglichkeiten?

Es kann auch helfen, Persönlichkeitsanteile zu verbinden, Zusammenhänge zu finden.

Eine schwierige Situation ist, wenn der Patient längere Zeit schweigt und der Therapeut dann ärgerlich wird. Vom Patienten wird das dann oft so ausgelegt: Ich wußte ja, daß sie böse auf mich sind.

Aus einem Traum einer Patientin dazu die folgende Bilderreihe: Die Therapeutin schlägt die Patientin, weil sie ärgerlich geworden ist. Die Patientin wird immer kleiner, tränen- und blutüberströmt. Die Therapeutin blickt weg und geht.

Es kommt darauf an, in der Therapie viele Erfahrungen von Mißerfolg aushalten zu können. Das gilt für den Therapeuten wie für den Patienten. Man muß versuchen, dem Patienten erkennen zu lassen, daß man Beziehungen anders gestalten kann [und muß] als die Täter-Opfer-Beziehung, die der Patient zuvor so oft erlebt hat.

Es ist wichtig, daß der Patient erkennen kann, es gibt eine positive Beziehung, eine positive Beziehung ist möglich.

Sehen Psychoanalytiker immer nur die Phantasien der Patienten und nicht deren realen Traumas? Vielleicht geht diese Auffassung ein wenig auf Freud zurück, der sich tatsächlich viel mit den Phantasien beschäftigte. Aber man muß ganz klar das reale Trauma sehen, sowie die Phantasien, die sich um das Trauma herum gebildet haben.

Vor einem Trauma die Augen verschließen, weil man fühlt, daß man dem Trauma nicht gewachsen ist - vielleicht ist das auch ein Grund dafür, daß Therapeuten und vielleicht auch Patienten es in die Phantasieebene verlagern.

Was ist besser, ein weiblicher oder ein männlicher Therapeut? Das kommt auf die Situation drauf an. Eine vergewaltigte Frau wird vielleicht eher von einer Frau behandelt werden wollen. Es kommt darauf an, daß der Therapeut eine schützende Instanz bilden kann. Das ist wichtiger als die Frage nach dem Geschlecht des Analytikers.

16. Februar 1995

Die Perversion

Die Definition ist schwierig, da sie mit Vorstellungen von Normalität gekoppelt ist. Die klassische Definition: Abweichung in Bezug auf den "normalen" Sexualakt, den Koitus mit einer Person des entgegengesetzten Geschlechtes mit dem Ziel eines Orgasmus.

Freud dazu: Die Neurose ist das Negativ der Perversion. Intensiver Reizhunger, Triebe auf verschiedene Ziele richten, Ekelschranken überschreiten.

Fetischismus: Ersetzung des Sexualobjekts durch ein Teil des Sexualobjekts, oft ein Teil des ersten prägenden Liebesobjektes, der Mutter, und da man als Kind sehr klein war oft die Füße oder Beine der Mutter. Sexualität mit Gegenständen. Sodomie: Sexualität mit Tieren. Exhibitionismus: Schaulust. Sadomasochismus: Sich des Objekts bemächtigen, Qüalen, Gequältwerden.

Hintergründe dafür oft: Verbot des (ganzen) Liebesobjektes, Inzestschranken. Beim Mann: Kastrationsangst (Rache des Vaters). Angst vor dem Koitus, Verweilen beim Vorspiel, kindliche Partialtriebe als Bestandteil des Vorspieles.

Perversion, um die Kastrationsangst des Kindes abzuwehren. [Wie ist das bei Mädchen?] Triebverbot, Inzestverbot, Onanieverbot führen entweder zur Verdrängung der verbotenen Wünsche oder zu einer perversen Phantasiebildung als kreative Ich-Leistung, als Versuch trotz eines Triebverbotes doch noch zu einer Befriedigung zu gelangen auf eine abnormale, abweichende Weise.

Neurose: Verpönter Impuls wird verdrängt. Perversion: Verpönter Impuls wird in (abweichende) Phantasien und eventuell auch Handlungen umgesetzt. Phantasie erzeugen Lust, Phantasie und sexuelle Lust verquickt. [Das hört sich aber doch ziemlich normal an, oder?] Dennoch bei beiden Formen der Verarbeitung eines Triebverbots entsteht Leiden und Leidensdruck.

Perverse Primärprozeßphantasien: Unverhüllter Lustanteil, Liebesobjekt und Vorstellungen aber chiffriert. Triebbefriedigung und Triebwunsch ebenso.

Sadomasochismus: Schlagen, Geschlagenwerden, Quälen, Gequältwerden. Der Orgasmus ist an diese Vorstellungen des Schlagen und Quälens gebunden und nicht mehr mit Erfüllung gekoppelt. Die Vorstellung mit dem Liebesobjekt eins zu werden ist gekoppelt mit der Vorstellung des Bestraftwerdens.

Ich-Spaltungen als Abwehrvorgang: Fetischismus, Onanieverbot, Kastrationsangst. Trotz Verbot bleibt der sexuelle Triebwunsch. Man kann den Wunsch nicht verbieten, wohl aber dessen Erfüllung. [Das wär ja auch noch schöner.]

Das führt dann aber oft zur Triebverleugnung oder zur Realitätsverleugnung. Der Wunsch darf keinen Platz mehr in der Welt haben, man kann mit dem Wunsch nicht leben, wenn er verboten ist, zumindest nicht auf Dauer. Der Wunsch muß gehen, das kann er nicht, deshalb muß er geleugnet werden, oder die Realität, das Verbot muß geleugnet werden, wenn auch oft nur ein kleiner Teil der Realität, der Welt, ein Teil, der abgespalten wird, ein Teil, indem das Verbot nicht gilt, der Teil, in dem die Triebbefriedigung noch stattfinden kann.

Dabei sind Triebverleugnung und Realitätsverleugnung zwei entgegengesetzte Reaktionen: Bei der ersteren wird das Verbot anerkennt und der Triebwunsch geleugnet, bei der letzteren ist es genau umgekehrt.

Die Penislosigkeit der Frau bestätigt dem Jungen die Möglichkeit der Perversion. Ein Ausweg ist: Sich einen unzerstörbaren Fetisch schaffen. Triebverschiebung, Triebbefriedigung in einem Bereich ohne Strafe, sich die Möglichkeit der Lustbefriedigung erhalten trotz der Bedrohung, trotz des Verbots.

Morgenthaler: Die Perversion ist eine Plombe im Ich. Ein Lösungsversuch nach einem bestimmten Muster, das durch die Vehemenz, die Dranghaftigkeit der Lust auf den Orgasmus gekennzeichnet ist. Nach dem Orgasmus, wenn der Trieb eine Weile in Ruhe ist, erkennt der Perverse den kranken, den perversen Anteil seiner Person in aller Deutlichkeit. Der Perverse beobachtet sich selbst.

Das führt zur Ich-Spaltung, zur Persönlichkeitsspaltung. Der perverse Anteil der Person darf nie mit dem gesunden Anteil in Berührung kommen. Der gesunde Anteil der Person muß um jeden Preis geschützt werden.

Diese Ich-Spaltung führt oft auch dazu, daß Außenstehende, Bekannte von einem Perversen oder einem Sexualverbrecher diesem seine Perversität beziehungsweise sein Verbrechen nicht zutrauen würden. Den den seinen Bekannten und Freunden begegnet der Perverse dann eher mit dem gesunden Teil seiner Persönlichkeit.

Vorm Orgasmus ist es für einen Perversen selbstverständlich, die Perversion zu begehen. Die Onaniephantasie ist meist abgekoppelt von den üblichen Phantasien. Der "übliche" Teil der Persönlichkeit ist davon nicht berührt.

Rituelles Muster, bei dem es nicht primär um die Triebbefriedigung, um regressives Streben nach Befriedigung geht unter Funktionswandel: Desexualisierte Objektbeziehungen schützen und scharf von perversen Persönlichkeitsanteilen trennen. Desexualisierte Seite: Selbstwertgefühl, Geschlechtsidentität, Zärtlichkeit.

Der perverse Persönlichkeitsanteil, von dem der Patient weiß und den er ablehnt, wird abgespalten. Denn sonst könnten ja die Bekannten und die Freunde von ihm von seinen perversen Persönlichkeitsanteilen erfahren und die Beziehung mit ihm abbrechen, so die Befürchtung eines Perversen oft.

Die eingekapselten Persönlichkeitsanteile erfüllen die Funktion "einer Plombe im Ich". Sie versuchen eine Lücke zu schließen, die eine fehlgegangene narzißtische Entwicklung verursachte. Lücke im Selbst: Bestimmte Erfahrungen sind nicht integriert, das Selbst rundet sich nicht ab.

Zum Beispiel nach einem Trauma, nach dem Erleiden von tiefen Schmerz, der nicht verarbeitet und integriert werden konnte. Die Lücke füllt sich mit der Wut, die das Trauma verursacht hat. Dabei kann die traumatische Erfahrung auch später auftreten, so im Alter von 5-8 Jahren zum Beispiel.

Wichtig für eine gesunde Entwicklung ist, daß die sexuelle Entwicklung nicht durch Verbote unterbrochen wird. So sollte man zum Beispiel die sexuellen Spiele der Kinder, die Doktorspiele nicht verbieten, denn Verbote können hier zu einer mit massiver Wut gekoppelten Perversion führen. Eine Perversion, die versucht, die Persönlichkeit vor Schmerz und narzißtischer Wut abzugrenzen.

Gerade Menschen die unter einer ausgeprägten Perversion leiden sind im Alltagsleben oft ungewöhnlich angepaßt und aggressionsgehemmt, weil der perverse Persönlichkeitsanteil abgegrenzt wird und außen vor bleibt und das um so stärker und vorsichtiger, je ausgeprägter die Perversion ist.

Das liegt oft daran, daß die in der Plombe eingekapselten Phantasien sozial nicht akzeptiert werden. Deshalb erlaubt sich der Perverse nur kurze Ausflüge in perverse Phantasien, denn nur so kann er vor sich selbst und vor allem auch vor anderen, die Ganzheit seiner Person, wenn auch in segmentierter Form, bewahren.

Nur wenn diese Plombe, die die Ganzheit der Persönlichkeit sichert, die das Loch im Selbst zu schließen versucht, ausfranzt, kann es zu deliquenten Akten, kann es zu Sexualverbrechen kommen.

Wenn ein Perverser ein Sexualobjekt zu etwas zwingt, dann ist das nicht die Folge der Perversion, sondern die Folge des Verlusts der Perversion!!! Denn bei Verlust der Perversion existiert kein Ventil mehr für die abgespaltene massive narzißtische Wut.

So steht die perverse Sexualität wie die Neurose auch im Dienste des Ich! Die im Primärprozeß pervers phantasierende und vielleicht auch handelnde Person sichert die im Sekundärprozeß sozial handelne und handlungsfähige Person ab.

Daher kann eine Tötungshandlung niemals Ziel und Höhepunkt einer Perversion sein, sondern als Folge des Zusammenbruchs der Abwehr, der Spaltung, der Plombe im Ich auftreten. Deshalb ist auch der Begriff Lustmord unpassend, denn dies ist kein Mord aus niederen Motiven heraus, sondern die Verzweiflungstat eines gefährdeten Selbst. [Wie schön zu erfahren. Der Mensch tötet nicht aus sexueller Lust heraus. Wär ja auch irgendwie widersinnig.]

Der Perverse erlebt seinen Orgasmus meist nicht als Triumph oder Erfolg, als Höhepunkt einer schönen Empfindung, sonder verspürt dabei oft ein Gefühl diffuser Aggression. Dabei handelt sich sich meist um ein altes Gefühl. Der Perverse wiederholt seine verdrängten traumatischen Erfahrungen (Objektbeziehungstheorie).

Auch ein Exhibitionist zum Beispiel erlebt diese schlechte, diese diffuse Gefühl von Angst, Ekel und Wut. Ihn stört aber die ärgerliche Reaktion einer fremden Frau nicht, wenn er sich vor ihr in aller Öffentlichkeit auszieht. Er erwartet die ärgerliche Reaktions genauso wie seine Gefangennahme durch die Polizei und ist zutiefst irritiert, wenn die Frau zum Beispiel entgegen seiner Erwartung seinen Körper, seinen Penis lobt oder die Polizei nicht kommt.

Wird er dann gefragt, warum er sich ausziehe, wo er doch wisse, daß er das nicht dürfe und eingespertt werde, wenn er es dennoch tut, weiß er meist keine Antwort darauf. Er hat verdrängt, daß er früher einmal als Kind gedemütigt und gekränkt worden ist.

Das drängende Gefühl von Unbehagen dient dazu, die narzißtische Kränkung zu verdecken, das Peniszeigen dazu, das Selbstwertgefühl zumindest für eine kurze Zeit wiederherzustellen: Was ich alles erreichen konnte, nur indem ich meinen Penis zeigte, die Frau da war total ärgerlich und die Polizei hat mich sogar eingesperrt. Das hättet ihr mir aber nicht zugetraut, oder?

Sadomasochistische Phantasien

Suche nach einem empathischen, spiegelnden Objekt: Ringen um Empathie - ein Interpretationsversuch masochistischer Inszenierung

Vielfältige Funktionen masochistischer Phantasien: Psychischen Mangel ausgleichen, kein inneres empathisches Objekt, da äußeres empathisches Objekt immer entbehrt. Ein Gegenüber brauchen, das wiederspiegelt. Visueller Kontakt zwischen Mutter und Kind sehr wichtig, ebenso wie der Hautkontakt. Der Glanz in den Augen der Mutter als Antwort: Du hast einen persönlichen Wert in meinen Augen.

Diese Wiederspiegelung geht in das Selbstbild des Menschen ein: Introjektion, Projektionen und projektive Identifizierung. Umfassende und ganzheitliche Resonanz, das Kind will als ganze Person gesehen werden, nicht auf einige Körperteile reduziert.

Stumme Zone der Psyche, nicht wiedergespiegelte Selbstanteile. Todeslöcher, die das Identitätsgefühl des Individuums auszuhöhlen drohen. Mit bestimmten Gefühlen allein bleiben müssen. Mißachtete, unterdrückte Aggressivität bei Frauen, Wut, Zorn und Ärger, übersehene, verbotene Traurigkeit bei Männern, Weinen, Mitleid und Trost. Bestimmte Gefühle bleiben ungespiegelt.

Was bleibt? Existenzielle Bedrohung durch Todeslöcher, Kampf um Identität und gegen den psychischen Tod. Beispiel: Eine depressive Mutter, die in sich gefangen ist - gläserne Augen der Mutter, die nicht wiederspiegeln. Das Kind muß Ersatzlösungen finden, die ihm ermöglichen, zu spüren und zu wissen, daß es psychisch existiert.

Narzißtische Ersatzlösungen, Narziß, der im spiegelnden Wasser nach Anerkennung seines eigenen Selbsts suchte. Nach einem verlorenem Objekt suchen, im Blick eines anderen. Masochistisches Ringen um Empathie. Sissiphos-Phantasien auf der Suche.

Willst Du denn nicht wissen, wer ich bin, und woher ich komme? Ein Teufelskreis, der eskaliert. Enttäuschung - Kränkung - Suche - Enttäuschung... Wichtige Frage dabei: Wie werden Menschen mit Verweigerung und Kränkung fertig, wie verarbeiten Menschen das?

Eine Möglichkeit ist es, die innere Leere durch masochistische Phantasien zu verdecken. Geschlagen, gefoltert werden von einer Frau, die Erektion verbietet, Geständnis fordert und erst danach liebevolle Zuwendung gibt. Schmerzlust auf ausgestanzte Phantasie, Ritual beschränkt.

Phantasien in Plombe, ich-fremd und doch nicht aufgegeben. Masochismus - Strafe vorwegnehmen als Vorbereitung, damit sie nicht mehr so plötzlich kommt, sich ein Stück Selbstbestimmung bewahren.

Masochistische Phantasien - ein empathisches Objekt herbeizwingen, einem anderen Menschen zeigen, wie sehr man für ihn gelitten hat. Schau hier, so habe ich für Dich gelitten.

In der Perversion eine verborgene Leidensgeschichte, Leid, das bisher nicht wiedergespiegelt wurde, Leid, das gesehen, ausgedrückt, gesagt und angenommen werden will. Bedürfnis nach empathischer Kommunikation.

Beim Perversen: Durch Brutalität Frauen dazu zwingen, sich in ihn hineinzuversetzen, für das Leiden belohnt werden (?) [oder umgekehrt, aber das ist anscheinend wie seltener]. Das Leiden sucht in der Wiederholung sein Ende. Ein empathisches Objekt herbeileiden. Orgasmus als Triumph, als Umarmung.

Beim Opfer: Spaltung zwischen Peiniger und liebendem Objekt. Mitsühnen für den Peiniger. Umarmung, Versöhnung. Ich könnte Dir das, was Du getan hast, verzeihen, wenn Du nur verstehst, was ich gelitten habe und Du in anderer Weise bei mir bleibst. Vor dem Haß, vor der Wut, vor dem Zorn war Liebe.

Die Erfahrung von einem empathischen Objekt geliebt zu werden ist für jeden Menschen unverzichtbar. Wenn diese Erfahrung fehlt, entstehen Löcher, Lücken im Ich. Ein präverbales Trauma wird dabei in Handlungen inszeniert, weil es nicht sagbar ist. Es geht darum, der Seele Ausdruck zu verleihen [vgl. Alice Miller].

Leiden unter dem Verbot ein eigenstädndiger Mann, eine eigenständige Frau zu sein, nicht geliebt werden, nicht lieben dürfen. Masochistische Phantasien - Wahrheit, Kampf um Empathie, Mut, sich nicht autistisch zurückzuziehen, nicht resignieren, nicht aufgeben wollen.

Autoerotische Phantasien als Sozialakt, als Mehrpersonenstück mit Kommunikation. Das eigene Selbst als Regisseur und Beobachter, sich selbst in der Phantasie eine empathische Beziehung schenken. Sich versichern, daß man nicht ignoriert wird. Sadist, Gequälter, Zuschauer. [Exhibitionist.] Eine zwischenmenschliche Szene neu inszenieren.

In der Therapie: Es kommt darauf an, dem Sadisten, dem Masochisten zu zeigen, daß eine Beziehung anders funktionieren, anders ausgehen kann, daß eine empathische Beziehung möglich ist und Bestand haben kann.

In der Therapie ist auch die Frage wichtig, wie eine masochistische Situation entstanden ist. Ein Objekt ersehnen, aber die wirkliche Begegnung fürchten? Eine Meinung, die man als Therapeut vermeiden sollte, die aber sonst sehr stark vertreten ist: Der will seine Situation ja gar nicht ändern, der will ja leiden.

Wenn die reale Begegnung bisher mit einem Versagen, einer Kränkung gekoppelt war, dann kann Angst vor weiteren Enttäuschungen eine Rolle bei der Ausbildung masochistischer Phantasien spielen. Dann ist es wichtig dem Patienten zu zeigen, daß es auch anders gehen kann. [Uh, das stelle ich mir nicht leicht vor... nicht in dieser Welt zu diesem Zeitpunkt, es braucht Veränderungen in den Beziehungen der Menschen untereinander, und davon ist nicht nur der Masochist betroffen...]

Der Patient soll dazu kommen unter die Decke der masochistischen Phantasien zu schauen, zu schauen, was hinter ihnen steckt. Deckphantasien aufdecken und bearbeiten, das ist ganz wichtig bei einer Therapie. Oft handelt es sich bei den Phantasien um einen tiefen Schmerz in verkleideter Form.

Dann geht es darum, in Kontakt mit dem seelischen Schmerz zu kommen und den Therapeuten als Zeugen des Wiedererlebens dieses Schmerzes zu haben. Einen Therapeuten zu haben, der den Patienten nicht dem seinem Schmerz alleine läßt, das ist wichtig. Der Therapeut als unaufdringlicher Zeuge.

In dem Zusammenhang kann es wichtig sein, den Kummer des Patienten nicht zu voreilig zu trösten und dem Patienten klar zu machen, zu zeigen, daß sein Schmerz ihn nicht tötet, daß dieser Schmerz zugelassen werden kann, das er seinen Schmerz zeigen kann und zeigen darf. Denn nur wenn jemand in seinem Leiden alleine gelassen wird, kann er seelisch krank werden und krank bleiben.

Dem Patienten signalisieren, ich will Dich hören! Ein Plädoyer für eine gewisse Anormalität!

Literatur

Benedetti, G.: Zur psychoanalytischen Struktur und zu Psychotherapie der Depression, 1987, in Wolfersdorf: Depression, Regensburg, Symposium

Benjamin, Jessica: Die Fesseln der Liebe, Frankfurt, 1990

Ch? S?: Psychoanalyse der weiblichen Sexualität, Frankfurt (Suhrkamp)

Chakiro: Neurotische Stile, 1991

Dörner, Plog: Irren ist menschlich

Freud, Siegmund: Trauer und Melancholie, 1917

Israel, L. (1978): Die unerhörte Botschaft der Hysterie, 1988

Lörner: Das mißdeutete Geschlecht

Quint: Die Zwangsneurose aus psychoanalytischer Sicht, 1988

St. Mentzos: Neurotische Konfliktverarbeitung, 1982 (Fischer Taschenbuch)

Herman, J.L.: Narben der Gewalt

Hoffmann & Hochapfel: Einführund in die Neurosenlehre und psychosomatische Medizin (incl. wichtigster psychotherapeutischer Verfahren), 1991, 4. Aufl., Schattauerverlag


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